Die Entwicklung schreitet – technisch – exponentiell voran
Ingolstadt/Essen, Dezember 2018 – Mit der provokanten Frage "Corporate Learning 2025 – Machen wir uns als Weiterbildner überflüssig?" treten am 29. Januar 2019 um 16.30 Uhr Christian Böhler von innogy Se und Tobias Pickl von Audi an. Mehrere Vertreter von Großunternehmen haben sich 2018 getroffen und reflektiert, wie ihre Realität als Weiterbildner in großen Corporates 2025 aussehen könnte. Daraus wurden Thesen abgeleitet, die für Corporate Learning 2025 bestimmend erscheinen.
Verstehen Sie "sich überflüssig machen" als ein überflüssig werden von Lerninhalten und Lernanstrengungen oder sehen Sie die Weiterbildner durch Technik ersetzt?
Christian Böhler: Nicht unbedingt vollständig ersetzt, aber auf jeden Fall in einer anderen Rolle als bisher. Wissen muss schneller vermittelt, in anderen Formaten bereit gestellt werden und verändert sich zu schnell, als dass herkömmliche Lernmethoden noch funktionieren würden. Artifical Intelligence ist schon seit Jahren ein Buzzword aber heute ist der Einsatz in vielen Lebensbereichen bereits schon gegeben oder zumindest in greifbarer Nähe.
Wie in Dürrenmatts „Die Physiker“: Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden, irgendjemand irgendwo wird den gleichen Gedanken nochmal denken. Da hilft es nichts – wie in Dürrenmatts Drama – sich ins Irrenhaus einschließen zu lassen. Wenn wir eine Entwicklung negieren, verpassen wir die Chance, den Übergang so zu gestalten, dass er rund läuft und Menschen mitnimmt.
Wenn z.B. KI eine autarke, selbstgesteuerte Weiterbildung ermöglichen würde, wer oder was würde die Lernenden motivieren?
Christian Böhler: Hoffentlich die Lerner sich selbst, weil sie aus sich heraus die Notwendigkeit verspüren, sich immer auf dem aktuellen Stand zu halten. Bis wir als HR wissen, was Fachspezialisten brauchen und dafür Konzepte geschrieben und Maßnahmen organisiert haben, wird zukünftig das nächste große Ding schon an uns vorbei gefahren sein.
Um unsere Mitarbeiter zukunftsfähig zu machen (Stichwort Employability), müssen wir uns auf den kulturellen Change fokussieren und Metakompetenzen wie Lernfähigkeit, Analytisches Denken und Reflektionsfähigkeit näher bringen. Der Gedanke ist aber auch gar nicht so abwegig, dass Motivation vielleicht nicht mehr notwendig sein sollte, weil Lernen und Arbeiten so weit verschmelzen, dass es sich nicht mehr voneinander trennen lässt.
Wo sehen Sie den "Anfang vom Ende"? Welche technischen Voraussetzungen müssten dafür gegeben sein?
Christian Böhler: Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Es ist eher ein schleichender Übergang. Technisch gesehen ist die Grundlage für AI bereits gelegt. Und da sich die Rechenleistung ja exponentiell vergrößert und die Verfügbarkeit des Internets weiter verbessern wird (Stichwort 5G), ist weniger die Technik ein Hindernis als unsere Mindsets und andere Hürden (Datenschutz).
Sind die Weiterbildner heute auf dem Weg der "Selbstkanibalisierung"?
Christian Böhler: Verdränge dich selbst, bevor es jemand anderes tut. Große Unternehmen sind dann erfolgreich, wenn sie in der Lage sind, ihr Business Modell komplett in Frage zu stellen und eventuell sogar komplementär aufzustellen. Die Geschichte hat dafür einige Beispiele. Weiterbildung ist so betrachtet auch ein Business Case. Der ROI sind fähige Mitarbeiter, die zum Unternehmenserfolg beitragen.
Ist Weiterbildung ein Selbstzweck oder der ROI das Ziel? Gesetzt den Fall, die Employabilität ist dauerhaft/nachhaltig erreicht, wird es sicherlich einen anderen Einsatz für uns geben. Nicht, um die Zeit bis zur biologischen Lösung zu überbrücken, sondern um andere Bedarfe zu decken. Systeme müssen gefüttert und Unternehmensstrategien in Algorithmen übersetzt werden. Solange Unternehmen von Menschen gesteuert werden, gibt es immer etwas zu tun, was den Menschen in seiner Leistungsfähigkeit unterstützt. Letztlich ist es ja das, was wir als Weiterbildner tun.
Bis 2025 sind es nur noch sieben Jahre. Halten Sie eine so schnelle Entwicklung für realistisch, nachdem die digitale Weiterbildung – zumindest in Europa – mehr als 40 Jahre für ihren "Durchbruch" gebraucht hat?
Christian Böhler: Was sind die Gründe dafür, dass Digitale Weiterbildung in Europa keinen Durchbruch geschafft hat? Offensichtlich haben Angebot und Bedarf – aus welchen Gründen auch immer – nicht zusammengepasst. Wenn das neu erfundene Auto nicht dringende Probleme seiner Zeit gelöst hätte, wäre der Durchbruch sicherlich später gekommen. Auf anderen Kontinenten schließt Digitale Weiterbildung Lücken, die sich mit herkömmlichen Methoden nicht schließen lassen.
Hinzu kommen eine förderliche Kultur, ein anderes Mindset und gegebenenfalls die Verfügbarkeit der entsprechenden Technik (in Rumänien besteht eine flächendeckende 4G Verfügbarkeit, im australischen Outback brauchst Du keinen Fernsehempfang, Du hast Netflix und seine Geschwister).
Also ja, es ist realistisch, dass sich bis 2025 eine Menge verändern wird. Da die Entwicklung – zumindest technisch – exponentiell voranschreitet, können wir ahnen, was bis dahin verfügbar sein könnte. Wissen tun wir es natürlich nicht. Durch die Einführung von 5G wird sich das IoT rasant weiterentwickeln, wenn heute schon dein Kühlschrank für dich einkaufen kann, dein Stromzähler entscheidet, wann Wäsche gewaschen wird und du dich mit Alexa unterhalten kannst, warum sollte nicht 2025 dein Lern-Bot in der Lage sein zu wissen, was du in fünf Jahren brauchst und dich darauf vorbereiten.
Vielleicht ist diese Intelligenz und das Bereitstellen im Moment des Bedarfs genau das, worauf Europa gewartet hat und führt damit dazu, dass Digital Learning durch die Decke gehen wird.