"Deutschland ist in Sachen eLearning ein Entwicklungsland"
Köln, November 2019 - Wie wird Künstliche Intelligenz (KI) die Welt des eLearnings verändern? Was sind die Vorteile von eLearning in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung? Und warum ist Deutschland so rückständig, wenn es um den Einsatz dieser innovativen Lernformen geht? Zu diesen Fragen äußern sich Holger Ruhfus und Jutta Nowak-Strauch von Talentsoft, dem führenden europäischen Anbieter cloud-basierter Software für Talent Management und Learning.
ELearning meint allgemein Formen von Lernen, die computergestützt sind. Was ist Ihrer Meinung nach der Vorteil von eLearning gegenüber Präsenzschulungen?
Jutta Nowak-Strauch: In Präsenzseminaren werden Lerninhalte oft nach dem Gießkannenprinzip verbreitet. Das heißt, alle erlernen denselben Stoff. Mitarbeiter sind jedoch meist nicht auf einem identischen Wissensstand und während die einen die vielen neuen Informationen kaum aufnehmen können, langweilen sich die anderen. Genau da setzt eLearning an: Die Online-Kurse können nicht nur spezifisch für bestimmte Themenbereiche aufbereitet, sondern auch auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter abgestimmt werden. Denn die Lerneinheiten sind in der Regel kleiner und setzen gezielt am individuellen Problem an. Somit schulen sie flexibler.
Inwieweit spielt KI eine Rolle beim eLearning?
Jutta Nowak-Strauch: Mit Sicherheit wird KI uns ganz neue Möglichkeiten eröffnen. In naher Zukunft werden wir bereits eLearning-Teilnehmern mittels KI automatisch neue Schulungsthemen vorschlagen können, die sich aus ihrer bisherigen Auswahl ableiten. Nach dem Motto: "Wenn Sie sich für 'Mitarbeiter-Coaching' interessieren, könnten auch folgende Themen für Sie relevant sein ...".
In welchen Bereichen sind individuelle eLearning-Inhalte vor allem wichtig?
Holger Ruhfus: Überall dort, wo unternehmensspezifisches Wissen vermittelt werden soll. Man braucht keine neuen Kurse für Standardthemen wie den Umgang mit Word oder Excel zu erstellen, da gibt es genügend. Aber wenn es zum Beispiel um das Onboarding geht, also die Einführung neuer Mitarbeiter, das sich in jedem Unternehmen unterscheidet, gibt es keine passende Lösung am Markt. Immer wenn ein Mitarbeiter einen Kollegen anleitet, kann wichtiges Wissen verloren gehen.
Der Vorteil von eLearning ist, dass sich die neuen Angestellten standardisierte, vorher festgelegte Inhalte aneignen und diese auch zu einem späteren Zeitpunkt immer wieder abrufen können. Über diese Onboarding-Prozesse hinaus ist eLearning beispielsweise auch dann sinnvoll, wenn Unternehmen Wissen zu ihren Produkten vermitteln oder Händler schulen möchten.
Die USA sind in der Weiterbildung sehr fortschrittlich. Wie ist Deutschland in Sachen eLearning aufgestellt?
Holger Ruhfus: Deutschland ist ein Entwicklungsland, was eLearning angeht. Andere Länder sind uns da um Längen voraus. Viele Verantwortliche erkennen den Bedarf an eLearning noch nicht. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen können Entscheider aufgrund des deutschen Ausbildungssystems davon ausgehen, dass Bewerber je nach Werdegang bestimmte Qualifikationen mitbringen, die bei der Einarbeitung nicht mehr geschult werden müssen. Zum anderen gibt es hierzulande noch keine gesetzliche Regelung für Weiterbildungsmaßnahmen.
In Frankreich beispielsweise sind Unternehmen verpflichtet, einen gewissen Trainingsumfang anzubieten. Mit eLearning können sie besonders gut und automatisch dokumentieren, dass sie ihrer Pflicht nachkommen.
Welche Faktoren tragen denn zum Gelingen eines eLearning-Konzepts bei?
Jutta Nowak-Strauch: Zum einen ist es wichtig, dass die eLearning-Inhalte eine hohe Qualität haben. Das heißt, die Kurse sollten relevantes Wissen vermitteln und didaktisch wertvoll gestaltet sein. Zum anderen sollten die Inhalte passgenau für verschiedene Berufsgruppen und Funktionsträger im Unternehmen erstellt werden. Gerade zu Anfang ist es ratsam, die Lernenden nicht mit zu umfangreichen oder komplizierten Modulen zu überfordern, sonst verlieren sie schnell die Motivation.