Identität durch Avatare in virtuellen Welten
Coventry (UK), November 2013 - Die Gestaltung von effektiven Serious Games erfordert intensive Beschäftigung und Beteiligung eines breiten Spektrums von Akteuren, einschließlich Instruktionsdesigner, Entwickler, Künstler, Forscher, Fachexperten, Lehrer und Lernende. Nicole Steils ist Bildungsforscherin an der Coventry University und hat eine Typologie von Avataren für die Verwendung in einer virtuellen Lernumgebung entwickelt, die sie auf der OEB Pre-Conference über Serious Games präsentieren wird.
Sie haben eine Typologie von Avataren für die Verwendung in einer virtuellen Lernumgebung entwickelt. Welche Typen haben Sie identifiziert ?
Nicole Steils: Ich habe mir die unterschiedlichen Wege angesehen, wie Lernende ihre Identität durch Avatare oder virtuelle Personas in virtuellen Welten wie Second Life schaffen und ihr Ausdruck verleihen. Auf der einen Seite berücksichtigt die Typologie die individuelle Anpassung der körperlichen Erscheinung des Avatars, ebenso wie dessen Namensgebung. Auf der anderen Seite bezieht sich die Typologie darauf, wie Anwender den Avatar als Verkörperung in der virtuellen Welt positionieren oder sich mit dem Avatar als Erweiterungen ihrer selbst identifizieren. Aus den Forschungsergebnissen, die ich im Folgenden beschreiben werde, habe ich eine Typologie entwickelt, die aus fünf Konzepten besteht: dislozierte Avatare, Vertreteravatare, Avatare als Spiel- und Werkzeuge, Avatare als Erweiterungen des Selbst und Avatare als Identitätserweiterungen.
In den ersten drei Dimensionen wurden die Avatare als Objekte von ihren Nutzern positioniert. In der ersten Kategorie wird die individuelle Darstellung durch den Avatar ignoriert. In der zweiten Dimension wurden die Avatare als individuelle Vertreter identifiziert, die körperliche Merkmale der physische Welt verkörpern können, aber nicht müssen. Das dritte Konzept zeigt das Verständnis von Avataren als Werkzeuge mit denen man spielen kann. In der vierten und fünften Kategorie, nehmen die Avatare mehr subjektivierte Charakterisierungen an und Benutzer beschrieben eine tiefe psychologische, über repräsentative Aspekte hinaus gehende, Beziehung zu ihrem Avatar. Dies beinhaltet die Beschreibung des Avatars, als mit Funktionen ausgestattet, die dem Benutzer in der physischen Welt abgehen - in einigen Fällen - wurde der Benutzer Vertreter des Avatars der virtuellen Welt hier in der physischen Welt.
Meine Forschung zeigt, dass die Identitäten der Lernenden in virtuellen Welten sich damit überlappen, wie ihre Identitäten in der physischen Welt dadurch geformt wird, wie sie sich selbst und wie andere sie wahrnehmen und wie sie mit anderen in der physischen Welt interagieren. Doch die Forschung zeigt auch, dass Entscheidungsprozesse in Bezug auf die Erscheinungsformen der Avatare, zum einen den Möglichkeiten der virtuellen Umgebung und den Interessen und Fähigkeiten der Anwender und zum anderen dem Grad, zu welchem der Nutzer sich auf mögliche Optionen einlässt, unterworfen sind.
Es scheint wichtig hervorzuheben, dass die fünf Konzepte nicht als statisch angesehen werden. Sie werden als eine Erklärung verstanden, wie Lernende die Identität ihrer Avatare zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter bestimmten Umständen definieren. So könnte ein Avatar aus vielen verschiedenen Schichten bestehen und verschiedene dazu gehörige Identitäten gleichzeitig annehmen. Darüber hinaus deuteten Studenten an, dass ihr Konzept eines Avatars sich mit dem Kontext, in dem er verwendet wird, ändern könnte. So haben einige Studenten Avatare für den Einsatz zu Lernzwecken oder professionellen Zwecken kreiert und verwendet, die sich von denjenigen unterschieden, die sie für Freizeit oder zum persönlichen, privaten Gebrauch nutzen.
Auf welcher Arten von Untersuchung basiert Ihr Forschungsinteresse?
Nicole Steils: Die Forschung basiert auf einer qualitativen Forschungsumfrage unter Verwendung einer narrativen Forschungsmethodik. Die Typologie basiert auf Daten, die für ein Promotionsstudium, im Rahmen des vom The Leverhulme Trust finanzierten Projekts CURLIEW (Coventry University Research in Learning in Immersive Educational Worlds), erfasst wurden. Das Ziel meiner Doktorarbeitsstudien war es, Lernen und Lehre in Bezug auf virtuelle Welten als Lehrmittel und Lernumfeld zu erkunden und mit Informationen auszustatten. Die Studie untersucht speziell, wie Lernende Identität verstehen, konstruieren und ausdrücken, wenn virtuelle Welten in der Hochschulbildung verwendet werden und wie die virtuelle Welt selbst die Identitätskonzepte von Studenten beeinflussen könnte.
Zu diesem Zweck sammelte ich Daten von 75 studentischen Teilnehmern und drei Tutoren an zwei britischen Universitäten. Ich habe 27 tiefer gehende Interviews mit 37 Teilnehmern geführt, zwei Fokusgruppen mit zwölf weiteren Studenten untersucht und 100 Stunden Beobachtungen und Hospitationen bei Studenten aus fünf Hochschul-/Universitätsmodulen, die Second Life als Unterrichtstechnologie verwendeten, absolviert. Jedes Modul lief über zehn Wochen. Basierend auf dem narrativen Forschungsansatz wurden die Abschriften der Interviews und Fokusgruppen sowie Beobachtungsdaten thematisch analysiert und interpretiert.
Wie haben Sie die Typologie erstellt ?
Nicole Steils: Die Typologie wurde aus Themen, die sich aus den Daten ergaben, entwickelt. Zum Beispiel habe ich während der Beobachtungen Veränderungen im Aussehen der Studentenavatare festgestellt und konnte mit den Lernenden direkt diskutieren, was die Gestaltungs- und Anpassungsprozesse beeinflusst hat. Ich habe analysiert, wie die Studenten den Entstehungsprozess ihres Avatars, hinsichtlich seines Namens und körperlicher Merkmale, beschrieben. Zusätzlich habe ich untersucht, wie die Lernenden ihre Verwendung des Avatars, ihr individuelles Verhalten und ihre Interaktionen mit anderen in der virtuellen Welt, beschrieben.
Daraus entstanden mehrere einzelne Kategorien. Zum Beispiel gab es Ähnlichkeiten oder Unterschiede zwischen dem Aussehen des Avatars und dem Erscheinungsbild des Nutzers in der physischen Welt, bei Haut- und Augenfarbe, Kleidung und Frisur. Ich habe auch Erfahrungen und Verhaltensweisen aus der physischen Welt beobachtet, die in der virtuellen Welt simuliert oder wiederholt wurden, besonders die Kommunikation und Interaktion mit Avataren anderer Studenten und Tutoren betreffend. Schließlich habe ich untersucht, wie die Lernenden die Beziehung zu ihren Avataren einschätzten und definierten. Dabei habe ich ein Kontinuum von Ignoranz bis zu Akzeptanz der Existenz des Avatars, als nützliches oder notwendiges Werkzeug, festgestellt; es gab auch spielerische Beschäftigung und nahezu Identifikation mit den Avataren. Die Nachuntersuchung von Kategorien und das Verschmelzen von Dimensionen führten dann zur endgültigen Entwicklung von fünf Konzepten.
Glauben Sie, dass Ihre Ergebnisse Auswirkungen auf zukünftige 3D Lernszenarien haben? Was erhoffen Sie sich ?
Nicole Steils: Ich bin mir sicher, dass die Ergebnisse Auswirkungen auf zukünftige Lernszenarien haben, die auf dem Einsatz von Avataren oder ähnlichen persönlichen 3D-Stellvertreterfiguren ("Alter Egos") basieren. Insofern leistet die Typologie, die ich entwickelt habe, einen wichtigen Beitrag zum schon bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand: Sie bringt ein systematisches Verständnis von beidem, was die Identität der Lernenden bedeutet und wie Lernende Identität durch ihre Avatare in virtuellen Welten schaffen und ausdrücken, mit sich. Meine Hoffnung ist jedoch, dass die Konsequenzen über die Verwendung von Avataren hinaus gehen können und Identität wirklich als Thema in der Bildung und in der Gesellschaft im Allgemeinen angesehen wird.
Die meisten an dieser Studie beteiligten Lernenden haben berichtet, dass die Möglichkeit, ihre Avatare zu individualisieren und zu personalisieren, ausschlaggebend dafür war wie sie ihre Identität in der realen Welt gestalten, zum Ausdruck bringen und wie sie damit zurechtkommen, was die Lernenden dann direkt mit den Lernerfahrungen und Ergebnissen verknüpften. Die Gestaltung und Anpassung des Avatars wird jedoch oft als zeitaufwendig und "schwierig" erlebt. Anscheinend gibt es eine Tendenz, diesen Prozess, durch die Nutzung vorgegebener oder maßgeschneiderter Avatare für bestimmte Situationen, zu umgehen. Während dies ein Wert an sich sein kann, scheint es entscheidend, dass die Lernenden dieser Studie ein großes Bedürfnis und den ausdrücklichen Wunsch äußerten, individuell und anders zu sein als andere Nutzer in der virtuellen Umgebung. Speziell dann, wenn Interaktion mit anderen ein integraler Bestandteil des Lerninhalts oder der Übung war.
So hoffe ich, dass die Identität in der Bildung weiter vorangebracht wird, um kritisches Denken und die Auseinandersetzung darüber, was unsere Identität in verschiedenen Umgebungen und Kontexten prägt und beeinflusst, zu ermöglichen.