Inverted Classroom mit agiler Kompetenzorientierung kombiniert
Herrsching, April 2023 – Bernhard Drees ist Fachgruppenleiter Arbeitsorganisation & Sozialwissenschaften an der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern. Seine Lehrveranstaltungen stützen sich auf einen ungewöhnlichen Methodenmix: "Inverted Classroom meets agile Kompetenzorientierung". So lautet auch sein Thema im Rahmen von "university@LEARNTEC" am 23. Mai um 10.30 Uhr auf der Focus-Stage in Halle 1.
Der "Inverted Classroom" ist als Methode mittlerweile gut bekannt. Wie lässt sich diese Lernmethode mit "agiler Kompetenzorientierung", die ja ein stärkeres Maß an Anleitung erfordert, kombinieren?
Bernhard Drees: Wir haben uns entschieden, den Lernprozess als wiederkehrende Schleifen von Wissenserschließung, Transfer, Anwendung und Reflexion zu strukturieren. Für die Phasen der Wissenserschließung ohne Lehrpersonen gibt es angeleitete Arbeitsaufträge, deren Ergebnisse in den Präsenzphasen von den Lehrpersonen aufgegriffen werden müssen.
Es stehen für jeden Themenbereich mindestens drei unterschiedliche Medien plus Zusatzmaterial zur Verfügung. Hiermit können die Studierenden je nach individuellen Lernzielen und Vorkenntnissen die Themen ggf. vertiefen. In den Präsenzphasen erfolgt - soweit kein "Re-teaching" (s.u.) notwendig ist - vertiefter Transfer, Anwendung in Trainings oder Praxissimulationen und Reflexion durch Reviews und Retrospektiven.
Das nächste Thema wird nach dem gleichen Ablauf bearbeitet. Am Ende eines Studienabschnitts ist eine Abschlusspräsentation in Kleingruppen zu halten, die die vorigen Themenbereiche aufgreift und wieder durch ein Review und eine Retrospektive abrunden soll. Die klare, im gesamten Studium wiederkehrende Struktur ermöglicht die Anwendung agiler Methoden auch im Rahmen eines formalen Lernkontexts. Graf spricht hier von einer Agilisierung der Lehre.
Welche Ergebnisse können bei diesem Methodenmix erwartet werden?
Bernhard Drees: Da fällt mir spontan der Satz ein: "Erwachsene sind lernfähig, aber unbelehrbar". Wir können über einen gewissen für alle verbindlichen Mindeststandard hinaus nur Angebote machen und Lernchancen bieten. Entsprechend sind die Ergebnisse stark abhängig von den individuellen Lernzielen der Studierenden und deren Bereitschaft, sich auf selbständige Wissenserschließung, Reflexion und z. B. die aktive Teilnahme an Praxissimulationen einzulassen. Da ist die Bandbreite hoch. Das spiegelt sich entsprechend auch in der Notenspreizung wider. Wir sind aber immer wieder positiv überrascht und beeindruckt von der Bearbeitungstiefe durch einzelne Studierende oder Kleingruppen.
Für welche Zielgruppen eignet sich ein derartiger Lehr-/Lern-Ansatz?
Bernhard Drees: Da wir versuchen, einen hohen Transferanteil herzustellen, wäre etwas Berufserfahrung wünschenswert. Aber da wir im ersten Studienabschnitt das Lernen an der Hochschule z. B. mit einer Lernkompetenzanalyse in den Vordergrund stellen und im Rahmen des Dualen Studiums auch Praxisphasen durchlaufen werden, ist der Ansatz sowohl für Studierende direkt nach der Schule als auch für erfahrenere Studierende geeignet.
Über welche Vorkenntnisse/ Ausbildung sollten Lehrende hierfür verfügen?
Bernhard Drees: Notwendig ist auf jeden Fall Sicherheit im Umgang mit unterschiedlichen Lernformaten und Klarheit über die entsprechende Rolle als Lehrperson, da ein permanenter Wechsel zwischen den Formaten erfolgt. Spätestens am ersten Tag der Präsenzphase müssen die Lehrpersonen eine Lernstandskontrolle durchführen und überprüfen, ob direkt in die nächste Phase gewechselt werden kann oder ob ggf. noch ein inhaltlicher Impuls, z.B. eine Erklärung oder Zusammenfassung, sinnvoll ist. Nach Handke wird dann aus dem Inverted Classroom eher ein "semi-invertiertes" Modell mit "Re-teaching". Deshalb müssen die Lehrpersonen natürlich alle zur Verfügung gestellten Medien inhaltlich kennen, um sie ggf. passgenau einsetzen zu können.
Gibt es bereits Evaluationen in diesem Zusammenhang?
Bernhard Drees: Eine großflächige Evaluation konnte bisher nicht durchgeführt werden. Das Konzept wurde in einzelnen Studiengruppen mit guten Rückmeldungen sowohl der Studierenden als auch der Lehrpersonen pilotiert. Hiernach sei insbesondere die Qualität der Ergebnisse der Wissenserschließung höher als im bisherigen Ansatz.