Content kuratieren als Aufgabe der Personalentwicklung
München, August 2018 - Soll man den Mitarbeitern alle erdenklichen Zugänge zu Wissensressourcen zur Verfügung stellen? Oder soll die Personalentwicklung Content kuratieren, also gezielt Inhalte auswählen? Die Frage, die sich heute vielen Praktikern im Corporate Learning stellt, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Beide strategischen Ansätze haben ihre Berechtigung. Britta Kroker, Gründerin der Pink University, spricht über Best-Practice Erfahrungen.
Welche Erfahrungen machen Sie als Produzentin von eLearning-Content in Bezug auf die Nutzung Ihrer Inhalte? Werden sie Mitarbeitern eher in der Form von Flatrate-Modellen zur Verfügung gestellt oder eher in der klassischen Art und Weise, in der auch Präsenztrainings zugwiesen wurden?
Britta Kroker: Beide Einsatzszenarien sind ungefähr gleich stark vertreten. Wobei die Idee, den Mitarbeitern möglichst unbeschränkt Ressourcen zur Verfügung zu stellen, derzeit viele Anhänger gewinnt. Was aber für das Unternehmen das richtige Modell ist, entscheidet der Einzelfall. Oder, um es als Didaktikerin zu formulieren, das Lernziel.
Das heißt, dass auch beide Modelle in einem Unternehmen nebeneinander existieren?
Britta Kroker: Ich würde eher sagen, miteinander. Natürlich ist es sinnvoll, möglichst vielen Mitarbeitern möglichst viele Lernressourcen unbeschränkt zur Verfügung zu stellen. Insofern sind Flatratemodelle, wie wir sie bei der Pink University anbieten und wie sie auch bei den einschlägigen Mitbewerbern zu finden sind, ein wichtiger Baustein für "lernende Unternehmen" – wobei ja nicht die Unternehmen lernen, sondern die Mitarbeiter.
Zu den kostenpflichtigen Angeboten kommen natürlich eine Unmenge an kostenlosen Lernressourcen im Netz. Wenn Sie da eine intelligente Infrastruktur davorschalten, können Sie durch interne Crowd-Mechanismen über Bewertungen und Kommentare auch einigermaßen gut navigieren. Wenn Sie die Mitarbeiter ungefiltert ins Netz auf Lösungssuche schicken, dann kostet das allerdings sehr viel Zeit. Und wenn sich jeder Mitarbeiter im Netz seine eigene Version zum Beispiel von "Datenschutz" aneignet, kommt natürlich das ganze Unternehmen in Teufels Küche.
Also doch hierarchisches Vorsortieren?
Britta Kroker: Es geht weniger um Hierarchien als vielmehr um funktionelle Differenzierung. Der Bereich Content Curation bzw. das Kuratieren von Inhalten gehört ja zu den klassischen Aufgaben der PE, hieß nur ein bisschen anders. Die PE hat ja schon immer den Markt an Trainingsanbietern gescannt, hatte umfassende Trainerkataloge zur Hand und war immer auf der Suche nach neuen Methoden und Formaten. Vor allem aber haben Personalerinnen und Personaler aus den verfügbaren internen und externen Ressourcen maßgeschneiderte Trainings entwickelt. Dieser Bereich verändert sich durch die Digitalisierung, aber er entfällt nicht. Heute geht es darum, nicht nur den "Präsenzmarkt" zu kennen, sondern auch den Markt der digitalen Lern- und Trainingsangebote.
Dass die Personaler intensiv an diesem Bereich arbeiten, merken wir an den vielen Anfragen, unsere Trainings zu testen. Personaler wollen eben nicht blindlings "Inhalte" an die Mitarbeiter ausliefern, sondern genau wissen, was ihre Mitarbeiter dann erwartet. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe, denn am Ende spart die PE durch diese Vorprüfung unglaublich viel wertvolle Mitarbeiter-Zeit. Anders gesagt nehmen Personalentwickler und Lernexperten den Fach- und Führungskräften sehr viel Sucharbeit ab.
Das klingt nach viel Arbeit?
Britta Kroker: Sicher, das ist nichts, was man nebenbei macht. Insofern ist es gut, dass mit dem Schlagwort "Content Curation" die Bedeutung dieser Arbeit etwas mehr in den Blickpunkt gerückt wird. Und man muss dazu sagen, dass es nicht nur um "Content" geht. Digitaler Content ist immer auch mit Technik verknüpft. Sie müssen als Personaler in diesem Bereich also immer auch die technischen Entwicklungen auf dem Radarschirm haben – und versuchen, nicht allzu abhängig von der Technik zu werden. Das stellt personell und auch finanziell hohe Anforderungen an Personalabteilungen. Die "Digitalisierung" macht die PE also nicht überflüssig, wie manche befürchten, sondern schafft zusätzliche und neue Aufgaben.
Wo sehen Sie die größten Auswirkungen, die digitaler Content für die betriebliche Weiterbildung hat?
Britta Kroker: Generell ist es so, dass digitaler Content oder eLearnings heute selbstverständlicher Bestandteil der betrieblichen Weiterbildung aller Unternehmensgrößen ist. Das war vor einigen Jahren noch anders. Zu unseren ersten Kunden gehörten die großen Konzerne, das war 2011. Dann wurde immer mehr der Mittelstand auf "digital learning" aufmerksam. Und heute ist das Thema auch bei kleinen Unternehmen präsent.
Und es gibt eine große Veränderung in der Nutzung von eLearnings. Lange Zeit wurden sie als "Ergänzung" zu Präsenztrainings eingesetzt – oder um Mandatory-Themen nachweisbar zu schulen. Heute weiß man, dass sich die ganze Lernarchitektur verändert und produktiver werden kann. Nach dem Modell des flipped classroom findet der Wissensaufbau selbstgesteuert statt. Und zwar mit Unterstützung von Online-Medien, eLearnings und Lernplattformen.
Präsenztrainings werden dadurch frei von der sogenannten Wissensvermittlung und können viel produktiver genutzt werden für Übungen, Vertiefungen, Coachings und Feedbackrunden …
Hier möchte ich Sie unterbrechen, Frau Kroker. Sind die Erfahrungen in Unternehmen denn nicht genau die, dass das "Vorlernen" mit eLearnings insofern nicht funktioniert, also, dass nur ein kleiner Teil sich tatsächlich mit den eLearnings auseinandergesetzt hat? Und in der Folge der Trainer doch den Lernstoff vermitteln muss?
Britta Kroker: Das ist genau der Fall, wenn klassische Präsenztrainings mit eLearnings "angereichert" werden. Die Lernarchitektur bleibt damit die alte. Wenn Sie wirklich gezielt Lernprozesse anstoßen wollen, müssen die einzelnen Elemente eng verzahnt werden. Eine Lernarchitektur, die digitale Medien und Formate beinhaltet, braucht auch einen digitalen Lernraum. Und zwar einen Lernraum, den die Lernenden über längere oder gar lange Zeit nutzen können – so wie ehedem das Klassenzimmer. Wenn Sie dann noch Lernpfade schaffen, bei denen die eLearnings und die Präsenttrainings zu einhundert Prozent aufeinander abgestimmt sind, haben Sie schon viel erreicht.
Idealerweise werden die Mitarbeiter in den Online-Selbstlernphasen für die jeweilige Thematik sensibilisiert und dazu angeregt, die Herausforderungen ihres Berufsalltags zu reflektieren. In der Präsenz nehmen Sie dann genau diesen Faden auf. Das geht allerdings nur, wenn die Trainer und die eLearning-Entwickler an einem Strang ziehen. Genau aus diesem Grund haben wir uns inhaltlich, strategisch und auch auf gesellschaftsrechtlicher Ebene mit dem Trainings- und Beratungsunternehmen Pawlik Consultants verbunden. Weil wir gesehen haben, dass wir den Unternehmen so bieten können, was sie wirklich brauchen – voll integriertes Blended Learning.
Heißt das im Umkehrschluss, dass Sie den Mitarbeitern selbstorganisiertes Lernen nicht zutrauen?
Britta Kroker: Nein, sicher nicht. Wenn es aber um gezieltes Lernen geht, werden Sie kaum um mehr oder minder formelle Lernprozesse nicht herumkommen. Und da ist integriertes Blended Learning der Königsweg im Blick auf die Learning Outcomes. Unter gezielten Lernprozessen verstehe ich etwa "Führungswissen aufbauen", "Kommunikative Kompetenz entwickeln" und so weiter. Hier ist klassische PE gefragt.
Wenn es darum geht, Mitarbeitern (Lern)Ressourcen für die Bewältigung ihres Jobs oder für das Voranbringen des Unternehmens zur Verfügung zu stellen, ist das Kuratieren sinnvoll – allerdings in der Form eines Angebots, nicht in Form eines Ausschlusses, etwa "hier gibt’s nur, was wir kuratiert haben". Aber diese Gefahr sehe ich nicht. Unsere Beobachtung ist, dass die Personaler und HR-Profis zu den Treibern des Wandels gehören. Es ist eine große Zeit des Umbruchs, und damit eine Zeit des Lernens. Und es ist damit eine große Zeit der HR.