Bildungsmanagement

Kompetenz kennt kein Alter

St. Gallen, Februar 2009 - "Der demografische Wandel ist eine Herausforderung für das Bildungsmanagement in Unternehmen", davon ist Taiga Brahm, wissenschaftliche Projektleiterin am Swiss Centre for Innovations in Learning (scil) der Universität St. Gallen, überzeugt. Sie erläutert CHECK.point eLearning, warum Unternehmen langfristig nur mit einem "Kulturwandel" hin zur altersunabhängigen Kompetenzentwicklung gut aufgestellt sind.




Jahrelang wurde ein Defizitmodell der Lernfähigkeit älterer Mitarbeiter propagiert, wieso hat das Ihrer Meinung nach ausgedient?

Taiga Brahm: Bei dem so genannten Defizitmodell gingen Wissenschaftler vor allem in den 1970er Jahren davon aus, dass der Alterungsprozess zwangsläufig und gesetzmäßig mit einem Abbau von Intelligenz, Flexibilität und Merkfähigkeit einhergeht. Es hieß, ältere Mitarbeiter würden sich Neuem verschließen, leicht ermüden und für ihre Arbeit länger brauchen. Diese Vorurteile halten sich zum Teil noch hartnäckig in Unternehmen und führen mitunter dazu, dass Qualifizierungsmaßnahmen an älteren Mitarbeitern vorbeigehen und diese als Folge dessen das Interesse am Lernen verlieren.

Statt den Blick auf Defizite zu richten, sollten Unternehmen eine positive Haltung gegenüber erfahrenen Mitarbeitern und deren Lernen entwickeln. Bei der Analyse des Bildungsbedarfs sollten die Potenziale der Mitarbeiter im Mittelpunkt stehen. Idealerweise realisieren Unternehmen eine lernförderliche Führungskultur, welche die Potenziale der Beschäftigten im Blick hat.

Wo liegen also die Potenziale älterer Mitarbeiter?

Taiga Brahm: Unternehmen müssen sich von der Sichtweise verabschieden, dass ältere Mitarbeiter per se Defizite aufweisen. Ältere sind Jüngeren sogar in vielerlei Hinsicht überlegen. Aufgrund ihres Erfahrungsschatzes sind sie meist kompetenter in der Problemanalyse und haben eine realistischere Zeit- und Aufwandsplanung. Sie haben langjährige Kenntnisse über Kundenprobleme und Erfahrung im Umgang mit Kunden. Kreativität, Engagement und Kompetenz sind ohnehin keine Frage des Alters.

Als Mangel wird bei älteren Mitarbeitern oftmals eine langsamere Bearbeitungszeit ihrer Aufgaben identifiziert. Doch diese Arbeitsweise birgt auch Vorteile, denn sie basiert auf einem hohen Kenntnisstand, der durch die gründliche Bearbeitung zu einer geringeren Fehlerquote führen kann.

Was bedeutet das für das künftige Bildungsmanagement?

Taiga Brahm: In den vergangenen Jahren wurde der demografische Wandel hauptsächlich mit der Brille des Personalmanagements betrachtet. Altersstrukturanalysen und Altersteilzeitmodelle sind Stichworte dazu. Aber die Alterung der Belegschaften bietet auch für das Bildungsmanagement die Chance, sich mit nachhaltigen Konzepten strategisch zu positionieren.

Es ist sinnvoller, altersunabhängig die individuellen Kompetenzen jedes Mitarbeiters zu entwickeln und nicht immer auf den eventuell bevorstehenden Renteneintritt zu schielen. Letztlich muss in den Unternehmen ein Paradigmenwechsel erfolgen, der eine Änderung der Einstellung zum Lernen erfordert. Es geht dabei um einen Kulturwandel, also um den Aufbau einer Lernkultur mit Wertschätzung gegenüber allen Mitarbeitern.

Der demografische Wandel betrifft schließlich auch die Jüngeren, die sich tendenziell mit immer mehr älteren Kollegen auseinandersetzen müssen und deren Karrierewege oftmals durch ältere Mitarbeiter verstopft sind. Unternehmen, wie zu Zeiten des Internet-Booms mit einem Durchschnittsalter von 29 Jahren, wird es nicht mehr geben.

Das Bildungsmanagement hat also die Aufgabe, ältere und jüngere Mitarbeiter zusammen zu bringen, damit diese voneinander profitieren können. So könnten jüngere Mitarbeiter ihre erfahrenen Kollegen an neue Technologien (z.B. Web 2.0) heranführen, während auf der anderen Seite jüngere Mitarbeiter Zugang zum Erfahrungswissen der älteren erhalten.

Wie sollten Qualifizierungsangebote für ältere Mitarbeiter aussehen?

Taiga Brahm: Seminare sind für ältere Mitarbeiter sicher nicht immer der beste Weg, denn sie gehen am Bedarf vorbei, sind zu weit weg von der alltäglichen Arbeit. Sinnvoller sind Unternehmenspartnerschaften zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern. Diese Tandems - begleitet und ggf. moderiert durch das Bildungsmanagement - bringen das frische Wissen der Jungen mit der Erfahrung der Älteren zusammen und garantieren zugleich den systematischen Transfer vorhandener Kenntnisse und Kompetenzen an Jüngere.

Eine große Herausforderung für Unternehmen stellt auch der Umgang mit lernunwilligen Mitarbeitern dar. Hier gilt es, die Verweigerungshaltung verstehen zu lernen, Barrieren aufzubrechen und ihnen die Chance zu geben, beispielsweise bei einem kurzen Boxenstopp, über ihre künftige Rolle im Unternehmen nachzudenken.

Erkennen Unternehmen den Wert älterer Mitarbeiter inzwischen und verhalten sie sich auch danach? Viele Unternehmen haben bei Stellenabbau noch immer sofort die Mitarbeiter 50 plus im Visier.

Taiga Brahm: Unternehmen bleibt letztlich gar nichts anderes übrig, als sich mit den Folgen des demografischen Wandels auseinander zu setzen, denn der Fachkräftenachwuchs wird zusehends knapper. Damit steigt die Notwendigkeit, die Flexibilität und Beschäftigungsfähigkeit aller Mitarbeiter zu erhalten. Viele Unternehmen, auch mittelständische, bieten deswegen bereits Maßnahmen zur arbeitsplatznahen Kompetenzentwicklung an und setzen dafür von der Altersstruktur her gemischte Teams zusammen.

Die Audi AG beispielsweise hat ein ganzheitliches Demographie-Konzept erarbeitet, das alle Mitarbeiter-Gruppen umfasst. Eine der Maßnahmen ist die Personaldrehscheibe. Nach der Ausbildung lernt der Nachwuchs vom vierten bis zum siebten Jahr der Betriebszugehörigkeit andere Bereich des Unternehmens kennen. Dafür können jüngere Mitarbeiter an einen anderen Standort der Audi AG wechseln oder auch bei Partnern wie VW oder Zulieferbetrieben hineinschnuppern. Auf diesem Wege wird die Flexibilität und Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter bereits sehr früh angegangen.