Community of Practice

"Stakeholder Management in der betrieblichen Bildung"

Groß Lindow, Juli 2025 - Der Bildungs-Stakeholder "Betriebsrat" nimmt eine zentrale Rolle ein, wenn es um Compliance im Unternehmen geht. Der Betriebsrat verfügt nämlich über ein gesetzlich verankertes Mitbestimmungsrecht bei allen Maßnahmen, die compliance-relevante Aspekte betreffen – etwa Regelungen zum Datenschutz oder zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle. Und da mittlerweile nahezu jedes IT-System, jedes Tool oder jede Anwendung – insbesondere solche mit KI-Funktionalitäten – personenbezogene Daten erhebt und verwendet, ist es nachvollziehbar, dass der Betriebsrat in diesen Zeiten stark gefordert ist.

Im Fokus des ersten Lernzirkels zum Thema "Nutzung von KI-Funktionalitäten in der betrieblichen Bildung und die daraus resultierenden Konsequenzen in der Zusammenarbeit mit den Bildungs-Stakeholdern" zu Beginn diesen Jahres stand die Frage, wie sich der zunehmende Einsatz von KI konkret auf die Rolle und Aufgaben des Betriebsrats im Alltag auswirkt.

Unter der Leitung von Elisabeth Schulze-Jägle und Meike Leue teilten in einer konstruktiven wie vertrauensvollen Atmosphäre unternehmensübergreifend Betriebsräte und Learning Professionals in Kooperation mit dem New Learning Lab ihre Erfahrungen. Die so erarbeiteten Erkenntnisgewinne werden im Folgenden kurz vorgestellt. Anfang August sind diese in einer frei verfügbaren Handlungsempfehlung als eBook verfügbar.

Status Quo: Licht und Schatten der digitalen Transformation

Zu Beginn des Lernzirkels fand eine Betrachtung der derzeitigen Rahmenbedingungen statt, die die Teilnehmer in ihren jeweiligen Unternehmen und in ihren Positionen erleben.

Es wurde festgestellt, dass seit 2020 durch die Pandemie eine tiefgreifende Transformation in Gesellschaft und Unternehmen ausgelöst wurde, die bis heute anhält. In vielen Unternehmen ist die Nutzung digitaler Kommunikations- und Kollaborationstools wie MS Teams seither explosionsartig gestiegen ist. Auch verschwimmen die Grenzen zwischen privater und beruflicher Nutzung digitaler Tools immer mehr. Viele Mitarbeitende setzen private Geräte und Programme für betriebliche Aufgaben ein. Oft geschieht das aus Unwissenheit über interne und externe Compliance-Vorgaben und über mögliche arbeitsrechtliche Konsequenzen. Gleichzeitig erleichtern neue Funktionen und eine immer einfachere Bedienung die digitale Erstellung und Verteilung von Inhalten. So hat sich ein regelrechter Dschungel an Lern-, Wissens- und Informationsangeboten entwickelt, der durch neue KI-Tools und KI-generierte Inhalte weiter anwächst und zunehmend unübersichtlich wird.

Der digitale Fußabdruck von Personen wird ebenfalls immer genauer. KI-Tools erfassen detaillierte Daten über Nutzeraktivitäten und erstellen umfassende Profile. Dies ermöglicht eine viel genauere Leistungs- und Verhaltenskontrolle. Die derzeitig vorhandenen regulatorischen und gesetzliche Rahmenbedingungen halten mit dieser Entwicklung derzeitig nicht Schritt. Externe wie unternehmens-interne Regelungen hinken dem technologischen Wandel hinterher. All das macht die Aufgaben des Betriebsrats nicht einfacher.

Eine weitere Herausforderung ist der immer noch stark vernachlässigte und damit nun fehlende Kompetenzaufbau im regel-konformen Umgang mit digitalen Tools im betrieblichen Kontext. Hinzu kommen interkulturelle Unterschiede beim Einsatz und bei der Regulierung von KI. Gerade in international tätigen Unternehmen, in denen Deutschland nur einer von vielen Standorten ist, gibt es große Unterschiede in der Bewertung und Handhabung dieser Themen.
Während in den USA oder China der Umgang mit KI deutlich offener ist, sorgen in Deutschland das Mitbestimmungsgesetz und auf europäischer Ebene der EU AI Act sowie die DSGVO für zusätzliche Komplexität. Innerhalb der Unternehmen zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Generationen. Für Berufseinsteiger ist der Umgang mit KI und digitalen Tools selbstverständlich, während ältere Mitarbeitende diesen Entwicklungen oft skeptisch gegenüberstehen oder sie sogar ablehnen.

Konsequenzen für Entscheidungsträger und Mitbestimmungsgremien  

Die dargestellten derzeitigen Rahmenbedingungen führen zum einen zu einer wachsenden Zahl qualitativ schlechter und regulatorisch unzureichender Inhalte, Formate und Produkte, die in den Unternehmen kursieren und zum anderen zu stark veränderten sowie völlig neuen Aufgaben von Betriebsräten und einer Transformation des eigenen Rollenverständnisses.

Die "Content-Flut" überlastet viele Entscheidungs- und Kontrollinstanzen. Mitbestimmungsgremien werden mit der Abarbeitung dieser Flut blockiert und können viele der, ebenso wichtigen, anstehende Themen nicht zeitnah bearbeiten.

Der fehlende oder unzureichende vorliegende rechtliche Rahmen und die schnelle technologische Entwicklung erfordern eigentlich neue Formen eines – transparenten - Informationsaustauschs und einer – konstruktiven -  Zusammenarbeit zwischen den zentralen Stakeholdern im Unternehmen, allen voran Geschäftsführung, Betriebsräten, IT, Personalentwicklung und Führungskräften.

Viele Stakeholder sind auf diese Transformation der eigenen Rolle nicht vorbereitet und verharren in alten Rollenbildern und Denkmustern. Diese überholten Haltungen behindern die notwendige Transformation der Rollen und Aufgaben. Zögerliches Umlernen und das Festhalten an alten Überzeugungen verlangsamen weiter Entscheidungen und Regelfindungen, wo eigentlich Flexibilität, Pragmatismus und schnelle Entscheidungen erforderlich wären.

Was die Ausarbeitung interner Regelungen für die Nutzung im Unternehmen zunehmend erschwert ist, dass  häufig ein Überblick fehlt, was tatsächlich unternehmensspezifisch im Tool/System anpassbar ist – und was nicht. So werden oft zu Beginn der Formulierung von Betriebsvereinbarungen für die interne Nutzung Lösungen formuliert /erwartet, die technisch gar nicht oder nur mit einem riesigen Aufwand umsetzbar sind. So lässt sich DeepL beispielsweise nur im angebotenen Standard nutzen, während bei Copilot oder M365 mehr Anpassungsmöglichkeiten bestehen, als viele Unternehmen vermuten. Zudem fehlt häufig Transparenz darüber, welche Funktionen – inklusive derjenigen, die immer wieder neu hinzugekommen – welche Auswirkungen auf Datenschutz und Leistungs- und Verhaltenskontrolle haben können. Das alles selbst herauszufinden ist mühsam und langwierig. Die so dringend benötigten betriebsinternen Regelungen werden dadurch weiter erheblich verzögert.

Best Practices und erfolgreiche Verhandlungen mit Dienstleistern werden oft nur informell zwischen Betriebsräten geteilt. Auf diesem Wege erfinden viele Unternehmen viele Räder neu, ein überbetrieblicher Wissenstransfer findet nur in einem sehr geringen Umfang statt.

Ein erstes Zwischenfazit macht deutlich, dass zum einen die Aufgaben und der Umfang der derzeitigen Aufgaben für den Bildungs-Stakeholder Betriebsrat stark angewachsen sind. Zum anderen erfordern fehlende Regelungen auf der normativen Ebene (Gesetzgebung), eine rasante technologische Weiterentwicklung eine tiefgreifende Veränderung der Zusammenarbeit zwischen den Bildungs-Stakeholder untereinander. Versäumnisse aus der Vergangenheit, wie die unzureichende Förderung digitaler Kompetenzen, insbesondere was Compliance-Aspekte angeht, rächen sich jetzt, wenn es darum geht zügig Regelungen im Einsatz von KI im Allgemeinen und in der betrieblichen Bildung im Speziellen unternehmensspezifisch zu finden.

Erste Handlungsempfehlungen

Aus den vorliegenden Betrachtungen leitete der Lernzirkel die folgenden ersten Handlungsempfehlungen ab:

  • Herstellen von Transparenz über die beeinflussbaren Handlungsfelder von Systemen, Tools und Anwendungen unterstützen und vereinfachen die Festlegung von unternehmens-spezifischen Nutzungsvorgaben.
  • Entwicklung einfacher Bewertungskriterien, ob ein Tool, eine Anwendung für berufliche Zwecke genutzt werden darf sowie Erstellung eines leicht zugänglicher Überblicks für alle Mitarbeitenden, welche Tools erlaubt sind und welche nicht.
  • Aufklärung aller Bildungs-Stakeholder, insbesondere von Führungskräften, internen Wissensträgern, und grundsätzlich aller Mitarbeiter, warum die Nutzung bestimmter Tools im Arbeitskontext verboten ist und welche Konsequenzen bei Nutzung für den Mitarbeiter und für das Unternehmen (z.B. Betriebsgeheimnisse gelangen ungefiltert nach extern) drohen können.
  • Förderung einer ganzheitlichen sowie konstruktiven Zusammenarbeit zwischen den Stakeholdern. Ohne bestehende rechtliche Grundlagen können nur gemeinsam unternehmens-interne Regelungen im Einsatz von KI etc. gefunden werden. Das erfordert Flexibilität und die Bereitschaft des gemeinsamen Ausprobierens und Lernens.
  • Die Dynamik der technologischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen macht ein "Lernen auf Vorrat" unmöglich. Das in der Betriebsratsweiterbildung am meisten verbreitete Trainingsformat von drei bis fünf-tägigen Blockseminaren funktioniert beim Thema "KI" nicht. Dazu sind die Entwicklungen zu schnell. Die Nutzung anderer Lernformate wie Community-based Learning, Peer Learning, Social Learning gilt es zu "wagen". Kontinuierliches, tägliches Lernen ist das Gebot der Stunde. Ebenso wäre eine Spezialisierung einzelner Betriebsräte auf einzelne Fokusthemen, um als Gremium auf allen Feldern up-to-date zu sein und zu bleiben.
  • Eine hohe Priorität sollte der sofortigen, kontinuierlichen sowie umfassenden Sensibilisierung aller Mitarbeiter, egal in welcher Position eingeräumt werden, um einen achtsamen und regel-konformen Einsatz von KI-gestützten Tools, Systemen und Anwendungen sicherzustellen.
  • Um die Anzahl der regelkonform erstellten Inhalte, Produkte und Anwendungen deutlich zu erhöhen gilt es die Möglichkeiten, die KI bietet, so nutzbar zu machen, dass es für einen Mitarbeiter möglichst einfach wird schon in der Konzeptionsphase zu überprüfen, welche internen wie externen Compliance Anforderungen bei der Erstellung eines Inhalts oder eines Produkts zu beachten sind. Auch ein abschließender umfassender Compliance-Check nach Erstellung würde sehr hilfreich sein. Dies würde zu einer deutlichen Entlastung der Mitbestimmungsgremien führen, da mit einer sinkenden Anzahl der nicht-regelkonformen Angebote zu rechnen wäre.  

Weitere geschlossene Lernzirkels zum Meta-Thema "KI in der betrieblichen Bildung" die auf den bisherigen Erkenntnisse aufbauen sind in Planung.