Ohne Interaktion und Kollaboration kein Social Learning
Karlsruhe/Burgau (A), Dezember 2019 – "Vom passiven Teilnehmer zum aktiven Teilgeber – Eigenverantwortung und Fehlerbewältigung beim Social Learning" ist der Titel des Kongress-Beitrags, den Sandra Dundler am 29. Januar um 15.30 Uhr auf der LEARNTEC 2020 einbringen wird. Sie definiert die Voraussetzungen unter denen Social Learning gelingen kann und macht auf "Stolpersteine" aufmerksam.
In wie fern unterscheidet sich die Fehlerbewältigung beim Social Learning von jener bei anderen computergestützten Lernformen?
Sandra Dundler: Beim Social Learning geht es um Wissens- und Kompetenzerweiterung durch gemeinsame soziale Interaktion. Also den Austausch von eignen Erfahrungen, Know-How und Faktenwissen. Der inhaltliche Prozess, also wohin die Diskussion führt, ist nicht exakt vorhersehbar. Dementsprechend ohne moderative Begleitung auch das Ergebnis bzw. die Qualität des Ergebnisses. Die Gruppe ist abhängig von der Eigeninitiative, also dem mindset, der "Teilgeber". Das bedeutet, dass Social Learning zwangsläufig mehr Struktur und Rahmen, mehr Aufmerksamkeit vom "Lehrenden" braucht.
Social Learning ist derzeit in aller Munde, aber eigentlich kein neues Konzept. Denn aus anthropologischer Sicht ist eine der wichtigsten Leistungen unseres Gehirns, wenn es um Lernen geht, die Steuerung der Aufmerksamkeit. Denn diese war in der Interaktion in der Gruppe elementar für die Kooperation. Biologisch gesehen, hat sich im Lauf der Evolution der Neokortex am stärksten von allen Gehirnarealen entwickelt. Und dieser ermöglichte es, in Gruppen ein soziales Zusammenleben zu entwickeln. Ein Faktor für unser Überleben und die heutige Entwicklung unserer Spezies.
Aus diesem Blickwinkel heraus wird deutlich, dass soziales Lernen schon immer stattgefunden hat. In jedem Kontext (Beispiel kleine Kinder) und sowohl positiv als auch negativ (z. B. kollektive Übernahme schlechter Angewohnheiten wie geduldetes zu spät kommen in Besprechungen).
Nachdem wir geklärt haben, was Social Learning ist, gelten bei der Computerunterstützung dieselben Regeln wie im realen Schulungskontext:
- Wie interessiere und aktiviere ich den Lernenden für den jeweiligen Content?
- Wie sorge ich für Interaktion & Kollaboration?
- Etc.
Zusätzlich ist zu klären, welches Tool zu meinen Mitarbeitern passt, wie ich es gemeinsam ins Unternehmen einführe und begleite (Mensch & KI)
Da Social Learning im bekannten 70:20:10-Modell die 20% ausmacht, können die übrigen 80% zur Fehlerbewältigung herangezogen werden? Bzw. warum nicht?
Sandra Dundler: Das 70:20:10-Modell besagt, dass der wesentliche Teil unserer Lernaktivitäten außerhalb von organisierten Weiterbildungsmaßnahmen stattfindet. Nämlich zu 70% on the job, also über unmittelbare Erfahrungen am Arbeitsplatz. Die 20% entstehen über den Austausch mit Kollegen, Geschäftspartnern, Führungskräften, usw. und die restlichen 10% dementsprechend über die formale Weiterbildung in Präsenz-, Online-, Blended-Formaten.
Wenn wir uns die gängigen Lerntheorien zu Rate ziehen, wird deutlich, dass die unterschiedlichen Theorien auf unterschiedliche Wissensarten abzielen (vereinfacht):
- Behaviorismus (Reiz - Reaktion): Faktenwissen
- Kognitivismus (Denken – Schlussfolgern – Einsichten gewinnen): Logisches Wissen
- Konstruktivismus (Sinn – individuelle Konstruktion): Handlungswissen
- Social Learning (Lernen durch Kommunikation): Mutuales Wissen
Das bedeutet, dass wir im Social Learning implizites Wissen (Erfahrungswissen) durch kreative Prozesse erschließen und der Gemeinschaft zugänglich machen. Es geht also nicht darum, dass ein Lehrender seinen Teilnehmern sein Expertenwissen vermittelt, sondern dass über zum Beispiel fachliche Diskussionen ein Thema gemeinsam erschlossen wird, oder Verhaltensänderungen über Reflektionen oder Best Practices angestoßen bzw. bewirkt werden. Der Lernerfolg kann durch die Dynamik und hohe Praxisorientierung dabei deutlich besser ausfallen, als bei klassischen Methoden.
Möchte ein Unternehmen Social Learning aktiv zur Weiterentwicklung der Mitarbeiter und somit des Unternehmens selbst zur Lernenden Organisation entwickeln, braucht dies einen klaren Rahmen und persönlichen Einsatz des Managements. Denn eines ist Social Learning im Sinne der Weiterbildung nicht: ein Selbstläufer. Denn neben einer gewissen technischen Affinität geht es, wie oben angedeutet, auch um die Qualität des Austausches, die Bereitschaft für Wissensweitergabe. Weg vom "alten" Paradigma, dass Wissen gleichzusetzen sei mit Macht. Und es geht um Durchhaltevermögen, wenn die erste Euphorie verpufft ist. Ein Pilot dazu bei Credit Suisse mit internen facebook Learning Communities wurde nach wenigen Monaten eingestellt, weil langfristig nur ca. 1% User sich aktiv beteiligten.
Sollen die "verbleibenden 80%" also im Sinne der Fehlervermeidung genutzt werden, müsste in den 70% on the job entsprechend Freiraum (-zeit) für die Beteiligung an Social Learning Kanälen geschaffen werden. Außerdem ein entsprechendes Vorbild und Commitment des Managements und der direkten Führung. Social Learning müsste als "normaler" Teil der täglichen Arbeit implementiert sein und die digitalen Medien in den Arbeitsablauf integriert sein (z. B. Expertennetzwerk in einem Wiki, das aktiv gemeinsam weiterentwickelt und als zentrale Informationsplattform genutzt wird). Die 10% der formalen Weiterbildung könnten entsprechend generell mit zielgruppenorientierten Gruppendiskussionen begleitet werden. Wichtig ist ein Gesamtkonzept für Social Learning, wenn die Potenziale zum Vorteil des Unternehmens genutzt werden sollen.
Welche Tools sind Ihres Erachtens besonders geeignet für das Social Learning, - möglicherweise sogar fehlervermeidend?
Sandra Dundler: Jane Hart, die Gründerin des "Centre for Learning & Performance Technologies", hat in ihrem 13ten jährlichen "Learning Tools Survey" von 100 Tools aus dem Bereich "Arbeitsplatznahes Lernen" mehr als jedes dritte Tool dem Social Learning und der Collaboration zugeteilt. Das zeigt, dass der Markt unzählige geeignete Tools bereithält.
Es geht weniger darum, welches einzelne Tool geeignet ist. Viel entscheidender ist die ganzheitliche Betrachtung. Klare Ziele aus Unternehmenssicht (Teil der Strategie), ein didaktisches Konzept, das die Bedürfnisse der Zielgruppe analysiert und bedient. Wie findet die Verknüpfung zu bestehenden Trainingsangeboten statt, usw. Und darauf aufbauend die Auswahl benutzerfreundlicher, mobilfähiger, intuitiver Tools bzw. deren geschickte Kombination. Nicht zu unterschätzen auch der Gedanke aus der Pädagogik, dass Lernen auch von Beziehungsgestaltung abhängt. Einfaches Beispiel: Bei welchen Lehrern hatten Sie Spaß in der Schule, bei welchen nicht? Das ist stark abhängig, wie die Beziehung zu der lehrenden Person ist.
Das gilt auch im Kontext der beruflichen Weiterbildung – vielleicht waren Sie schon einmal in einem Seminar, bei dem Sie den Trainer/die Trainerin nicht leiden konnten? Wie viel vom Inhalt ist wirklich hängen geblieben? Das bedeutet mit Blick auf Social Learning im Unternehmen – auch mit Blick auf die Toolauswahl, dass hier ebenfalls die Beziehungsebene mitschwingt und über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Die Social Learning Tools dürfen keine digitale Distanz aufbauen – gerade im Unternehmenskontext bedeutet das z. B. mit Klarnamen und Fotos zu arbeiten. Persönliche Videobotschaften von Führungspersönlichkeiten einzubauen, usw.
Der Schlüssel zur "Fehlervermeidung" sind im Anschluss konsequente Umsetzung, klarer Rahmen, Verantwortlichkeiten und Beharrlichkeit – immer wieder zum Mitmachen aufzufordern, zu aktivieren. Wichtig: IT-Sicherheit, Datenschutz und Mitbestimmung frühzeitig ins Boot holen.
Welche besonderen Regeln gelten für die Kommunikation?
Sandra Dundler: Generell gilt es darauf zu achten, dass ein wertschätzender und respektvoller Kommunikationsstil vorherrscht und dass immer klar ist, von wem welcher Beitrag stammt. Hilfreich ist zudem sicherzustellen, ob es sich um Faktenwissen oder persönliche Interpretationen/Meinungen handelt. Hierarchie sollte an den Beteiligungschancen an z. B. Diskussionen keine Rolle spielen, d. h. auch der Mitarbeiter auf der untersten Managementebene darf seinen Kommentar beitragen und wird dafür geschätzt.
Eine verbindliche "Etikette" ist auf jeden Fall hilfreich (im Übrigen für alle Arten medialer Kommunikation). Hier ein paar Beispiele dafür:
- Eigene Beiträge auf respektvollen Stil und Mehrwert zum Thema prüfen
- Beiträge als Fakten oder Interpretationen kennzeichnen
- Kurze, verständliche Sätze
- Quellen, weiterführende Literatur, Videos, etc. angeben
- Ehrlichkeit vor Anonymität – auch um die Chance zu echter Diskussion und Meinungsaustausch zu geben
- Stil der Anrede für das Unternehmen festlegen