Fraunhofer IAO

Wissenstransfer ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit

Prof. Dr.-Ing. Marc RügerKarlsruhe/Stuttgart, April 2025 – Prof. Dr.-Ing. Marc Rüger ist Direktor Strategisches Business Development und Leiter Business Education und Innovation beim Fraunhofer IAO in Stuttgart. Seine jahrzehnte-lange Tätigkeit am Fraunhofer Institut wird ergänzt durch sein Engagement als Mitglied des Expertenkreises der Initiative Wirtschaft 4.0. Diesen Erfahrungsschatz aus Praxisperspektive teilt Prof. Rüger im LEARNTEC Kongress in seinem Vortrag "Erfahrungen eines Institutsleiters zu On- und Off-Boarding, Wissenstransfer und Generationenmanagement" am Donnerstag, den 8. Mai um 16 Uhr.

Inwiefern unterscheiden sich Ihre Erfahrungen als Institutsleiter zum Thema On- und Offboarding von jenen, die Unternehmensvertreter machen?

Prof. Dr. Marc Rüger: Meine eigenen Erfahrungen beziehen sich vor allem auf folgende Bereiche.

  • Kultur des gemeinsamen Lernens: In unserem Haus werden On- und Offboarding-Prozesse nicht nur als administrative Übergänge betrachtet, sondern als integraler Bestandteil des Kulturprozesses. Dabei wird großer Wert daraufgelegt, dass das implizite, kulturell verankerte Wissen der Mitarbeitenden in informellen Austauschformaten und interdisziplinären Projekten weitergegeben wird.
  • Systematische Integration: Wir gestalten Onboarding-Prozesse als integrative Maßnahmen, die nicht nur fachliches Wissen vermitteln, sondern auch den interdisziplinären Austausch fördern. Neue Mitarbeitende werden gezielt an erfahrene Kolleginnen und Kollegen herangeführt, um den informellen Wissensaustausch und die kulturelle Integration zu sichern.
  • Wissenssicherung durch Kultur: Beim Offboarding sichern wir institutionelles Erfahrungswissen durch gezielte Feedback- und Wissenstransfergespräche. Durch Mentoring-Programme wie Generationen-Tandems und Reverse Mentoring wird ein kontinuierlicher intergenerationeller Lernprozess etabliert, der sowohl fachliche als auch kulturelle Erkenntnisse bewahrt.

Der Unterschied zu Unternehmensvertretern lässt sich am besten so beschreiben:

  • Strukturelle Unterschiede: Unternehmensvertreter tendieren oft zu standardisierten, rein prozessualen On- und Offboarding-Ansätzen, bei denen der kulturelle und intergenerationelle Aspekt weniger im Fokus steht, – wenn es überhaupt einen Prozess zum Thema On- / Offboarding in der Organisation gibt.
  • Kultureller Mehrwert: In unserem Institut fließt der Kulturprozess direkt in die Personalprozesse ein – was bedeutet, dass neben dem reinen Wissenstransfer auch Werte, Kommunikationsstile und interdisziplinäre Zusammenarbeit aktiv vermittelt werden.

 

Welche Rolle spielt Wissenstransfer in dem von Ihnen geleiteten Haus? Wie wird er umgesetzt?

Prof. Dr. Marc Rüger: Wissenstransfer ist entscheidend für die Leistungsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit unseres Instituts. Er stellt sicher, dass das kollektive Wissen genutzt und weiterentwickelt wird, um den Herausforderungen der Zukunft besser begegnen zu können.​ Dadurch können wir sicherstellen, dass einerseits wertvolle Informationen, Kompetenzen und Erfahrungen nicht verloren gehen, selbst wenn Mitarbeitende die Organisation verlassen oder in den Ruhestand gehen.
Andererseits ermöglicht dieser Austausch die Integration von neuem Wissen und Erfahrungen in die Organisation. Auf diese Weise können Mitarbeitende von den Erfahrungen und Erkenntnissen ihrer Kollegen lernen und gemeinsam neue Lösungen entwickeln.

Die Umsetzung in unserem Haus sieht folgendermaßen aus:

  • Formelle und informelle Methoden: Wir kombinieren strukturierte Maßnahmen wie Mentoring-Programme und Onboarding-Prozesse mit informellen Austauschformaten. Diese Methoden sind Teil eines umfassenden Kulturprozesses, der den intergenerationalen Dialog und die kulturelle Vielfalt als Innovationsquelle begreift.
  • Kulturprozesse aktiv gestalten: Workshops und Sensibilisierungsmaßnahmen fördern das gegenseitige Verständnis der unterschiedlichen Generationen und kulturellen Hintergründe. Dies ist essenziell, um das implizite Wissen, das im täglichen Miteinander entsteht, sichtbar und nutzbar zu machen.
  • Vermeidung von Wissenssilos: Durch aktive Förderung interdisziplinärer Teams und informeller Austauschformate (wie Community of Practices oder Kaffee-Roulette) wird sichergestellt, dass Wissen fließt und kulturelle Barrieren überwunden werden.

Wie kann Generationenmanagement unter den heutigen demographischen Vorzeichen aussehen?

Prof. Dr. Marc Rüger: Ich sehe vor allem diese Aspekte:

  • Vielfalt der Perspektiven: Die unterschiedlichen Erfahrungen, Sozialisationen und Kommunikationsstile der Generationen erfordern ein bewusstes Management. Dabei setzen wir auf das Prinzip des "Übereinander Lernens", um gegenseitiges Verständnis zu fördern und Synergien zu nutzen.
     
  • Gezielte Workshops: Durch Workshops, in denen die Perspektiven und Bedürfnisse aller Generationen beleuchtet werden, fördern wir ein besseres Verständnis füreinander und schaffen die Basis für nachhaltige Zusammenarbeit.
     
  • Vielfalt als Innovationsmotor: Die verschiedenen Generationen bringen unterschiedliche Erfahrungen, Wissen und Ansichten mit. Ein Kulturprozess, der diese Vielfalt integriert und als Bereicherung sieht, führt zu kreativen Lösungsansätzen und stärkt die Innovationskraft der Organisation.
     

Wie kann die nachfolgende Generation – ungeachtet der derzeit wirtschaftlich turbulenten Zeiten – von Ihren Erfahrungen profitieren?

Prof. Dr. Marc Rüger: Lassen Sie mich dazu drei Punkte präzisieren:

  • Langfristige Lernkultur: Die etablierten Strukturen des Wissenstransfers und intergenerationellen Lernens bieten jungen Talenten einen verlässlichen Rahmen, um sich kontinuierlich weiterzuentwickeln.
  • Reverse Mentoring: Junge Mitarbeiter profitieren direkt von innovativen Ansätzen wie Reverse Mentoring, bei dem sie nicht nur ihr Fachwissen einbringen, sondern auch lernen, wie man in einem interdisziplinären und generationenübergreifenden Kontext führt und kommuniziert.
  • Fundament eines nachhaltigen Kulturprozesses: Unsere Erfahrung zeigt, dass ein Kulturwandel – unterstützt durch informellen und formellen Wissenstransfer – der Schlüssel ist, um die nachfolgende Generation auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten. Dies stärkt nicht nur die Innovationskraft, sondern sichert auch, dass die nachfolgende Generation nicht nur fachlich, sondern auch kulturell gut gerüstet ist.