Virtuelle Klassenzimmer

ELearning erobert Europäisches Patentamt

Wien/München, Mai 2008 - (von Christian Dörr) Das Europäische Patentamt hat sein Vor-Ort-Schulungsangebot für Patentinformation um eLearning erweitert. In virtuellen Klassenzimmern vermittelt das Amt alles Wissenswerte über Patentinformation - und trägt so dazu bei, dass Produkte nicht doppelt entwickelt werden. Die Schulungs-Trainer sitzen in Wien, die Teilnehmer schalten sich aus aller Welt zu.



Deutschlands allererstes Patent wurde am 2. Juli 1877 erteilt. Das Kaiserliche Patentamt vergab die "Patentschrift No. 1" für ein "Verfahren zur Herstellung einer rothen Ultramarinfarbe". Der Erfinder hatte es einfach: Er war schließlich der Erste und musste sich noch keine Sorgen machen, dass er bestehende Patente verletzen würde. Da haben es Erfinder heute schon wesentlich schwerer.


Um Produkte nicht doppelt zu entwickeln, müssen sie sich zunächst einen Überblick darüber verschaffen, was es schon gibt. Produzenten müssen abklären, was wo geschützt ist, um nicht in bestehende Patente einzugreifen. Und das kann mitunter eine Sysiphusarbeit sein: Über 60 Millionen Patentdokumente stellt allein das Europäische Patentamt (EPA) zur Verfügung; die Datennmenge wächst rasant, da jährlich etwa 1,7 Millionen neue Anmeldungen weltweit eingereicht werden.


Per Mausklick: Kostenloser Zugriff auf 60 Millionen Patente



"Bei der Suche und dem Zugriff auf die gewünschten Informationen unterstützen wir Anwender mit unseren kostenfreien Patentinformationsdiensten", erklärt Dr. Ronald Feinäugle, Training Co-Ordinator Patent Information Promotion and Training bei der EPA-Niederlassung in Wien. Dazu zählt auch der Online-Dienst esp@cenet, die weltgrößte Patentdatenbank, die sich über eine Schnittstelle in 20 Sprachen bedienen lässt; die recherchierbaren Daten sind in den meisten Fällen auf Englisch verfügbar.


Die Informationsdienste des EPA werden sowohl von europäischen als auch weltweiten Unternehmen genutzt, darunter vor allem kleine und mittlere Firmen, Pharma-, Technologie- und Chemiekonzerne sowie Universitäten und andere Forschungseinrichtungen. Dr. Feinäugle: "Für Entwickler, Forscher, Rechtsberater oder Entscheidungsträger sind Paten-informationen unverzichtbar."


Sie können sich beim EPA über den aktuellsten Stand der Technik informieren und eigene Lösungen darauf aufbauen. Zudem sind sie in der Lage, Aktivitäten anderer Firmen zu beobachten, potenzielle Geschäftspartner zu ermitteln und Marktentwicklungen und -Trends frühzeitig zu erkennen und aufzugreifen. Und selbstverständlich hilft Patentinformation, Patenverletzungen zu vermeiden, wenn neue Produkte oder Dienstleistungen auf den Markt gebracht werden sollen.


Virtuelle Klassenzimmer ergänzen Vor-Ort-Schulungen



"Damit esp@cenet-User den Dienst optimal nutzen können, schulen wir sie", sagt Dr. Feinäugle. Die Schulungen richten sich sowohl an Interessenten, für die Patentinformation Neuland ist, als auch an Profi-User, die ihre Kenntnisse vertiefen oder einfach nur auf den neuesten Stand bringen wollen. Dr. Feinäugle dazu: "Wir bieten ein breites Spektrum - vom viertägigen Anfängerseminar bis zum vertieften Fortgeschrittenen-Kurs."


Bis vor kurzem fanden diese Schulungen ausschließlich vor Ort statt, entweder in der Wiener Dienststelle des EPA oder beim Anwender selbst. Allerdings hat das Amt einen Rückgang von Präsenz-Seminaren verzeichnet: "Firmenmitarbeiter haben nicht mehr so viel Zeit für Präsenz-Schulungen", sagt Dr. Feinäugle. "Zudem werden die Reisebudgets gekürzt oder Schulungen auf ein Minimum reduziert."


Aus diesem Grund hat das EPA sein Angebot um kostenlose Trainingsmaßnahmen erweitert: Erstens um Web-basierende Lernmodule, über die Nutzer selbstständig an ihrem PC lernen können, und zweitens um virtuelle Schulungen, die seit Anfang 2004 angeboten werden.


"Mit den virtuellen Klassenzimmern erreichen wir Zielgruppen, die wir bisher nicht so einfach erreichen konnten, zum Beispiel Unternehmen aus den USA, Asien und Osteuropa", unterstreicht Dr. Feinäugle die Bedeutung des virtuellen Schulungsangebots.

Ein weiterer Vorteil ist, dass Neuheiten und Produktinfos schneller an die User gebracht werden können. "Insofern unterstützt uns eLearning dabei, Innovationen zu fördern und das Bewusstsein für Patentinformation und damit für das Patentsystem im Allgemeinen zu steigern."


Interaktiver Echtzeit-Unterricht wie im echten Klassenzimmer



Alles in allem geht es in einem virtuellen Klassenzimmer des EPA fast genauso zu wie in einem richtigen Klassenzimmer: Zwei EPA-Experten koordinieren das Geschehen und führen beispielsweise Live-esp@cenet-Demos vor. Während und nach des Unterrichts können Teilnehmer Fragen stellen - also alles ganz normal, nur, dass die Interaktion virtuell stattfindet.


Alles, was User brauchen, um teilzunehmen, ist ein PC mit Internetzugang. Die begleitenden Gespräche finden via Voice over IP (VoIP) statt, Teilnehmer brauchen also noch nicht einmal ein Telefon. Falls Anwender VoIP nicht nutzen können, verfolgen sie den Unterricht einfach über die PC-Lautsprecher. Fragen stellen sie über die Chat-Funktion.


Unter http://epo.webex.com können sich Interessenten für die virtuellen Schulungen anmelden. Das komplette EPA-Schulungsangebot
einschließlich der Online-Schulungen ist abrufbar.


Basis der virtuellen Klassenzimmer ist das Web-basierende eLearning-System WebEx Training Center. "Im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung haben wir uns für WebEx entschieden", erläutert Dr. Feinäugle. Das lag vor allem auch an der Plattformunabhängigkeit der Lösung: "Es gibt viele Unbekannte, wenn sich User für unsere Schulungen registrieren", erläutert Dr. Feinäugle. Eine davon ist das jeweilige Betriebssystem. "Mit Training Center sind wir auf der sicheren Seite, da die Lösung eine große Bandbreite von Plattformen abdeckt."


Es reicht also ein beliebiger PC mit Mac OS X, Linux oder Windows. Überhaupt sei die eLearning-Lösung sehr ausgereift. Das fängt schon beim Lizenmodell an: "Die Bezahlung pro Hostcomputer macht einfach Sinn, weil man so auch wirklich nur das zahlt, was man braucht."


Sinnvoll auch: die Rollenverteilung bei einem Online-Training. Es gibt einen Host, der Teilnehmer koordiniert, ihnen erklärt, wie sie während einer Sitzung die Hand heben und Fragen stellen können. Hinzu kommen zwei Trainer, die abwechselnd präsentieren, Live-Recherchen durchführen und im Hintergrund Chat-Fragen der Teilnehmer beantworten. Schließlich gibt es noch die Teilnehmer. "So eine ausgereifte Rollenverteilung, bei der der Veranstalter immer die Oberhand behält, bieten nicht alle eLearning-Lösungen", lobt Dr. Feinäugle. Oft ist die Rollenverteilung auf zwei Gruppen beschränkt.

Anwender aus aller Welt drücken die Schulbank


In einer virtuellen EPA-Schulung drücken durchschnittlich zwischen zehn und 30 Teilnehmer die Schulbank. In den ersten Einsatz-Monaten hat das EPA virtuelle Schulungen mit rund 600 Teilnehmern abgehalten, die von insgesamt acht Trainern geleitet wurden. "Aufgrund der großen Nachfrage wollen wir aber langfristig die Zahl der Trainer verdoppeln", sagt Dr. Feinäugle.


Die Kurse werden je nach Bedarf in Deutsch, Französisch und Englisch abgehalten, den Amtssprachen des EPA. Die Hälfte der Teilnehmer kommen aus Europa, der Rest aus den USA, Asien und Osteuropa. "Aufgrund der Zeitverschiebung haben wir es morgens eher mit Asiaten zu tun, nachmittags dann überwiegend mit Amerikanern", erläutert Dr. Feinäugle.


Das erklärte Ziel des EPA ist, "virtuelle Klassenzimmer als akzeptierten Kanal für Schulungen zu etablieren", unterstreicht Dr. Feinäugle. Die Voraussetzungen dafür sind bestens: "Wir bekommen durchgehend motivierende Rückmeldungen von den Teilnehmern; sie schätzen unser Angebot sehr und nutzen es gerne."