Online-Lehre als Entlastung der Präsenzlehre
Hamburg, Oktober 2008 - Auf der Campus Innovation am 20. und 21. November 2008 in Hamburg erwartet die Besucher - neben zahlreichen anderen Themen - ein eigener eLearning-Track. Dr. Paul Rühl, Geschäftsführer der Virtuellen Hochschule Bayern (vhb), referiert am 20. November in diesem Zusammenhang über "Online-Lehre als Entlastung der Präsenzlehre". Das Multimediakontor Hamburg als Veranstalter hat ihn hierzu vorab befragt.
Herr Rühl, bitte umreißen Sie kurz die Idee und das Angebot der Virtuellen Hochschule Bayern und erklären Sie uns, was dieses einzigartig macht.
Dr. Paul Rühl: Die Virtuelle Hochschule Bayern fördert als Verbundinstitut der bayerischen Hochschulen bedarfsorientiert die hochschulübergreifende Entwicklung und Durchführung von Online-Lehrangeboten. Wir stellen Mittel zur Kursentwicklung zur Verfügung und unterstützen die Finanzierung von Tutoren für die Teilnehmerbetreuung, denn wir legen großen Wert auf ein hohes Maß an Interaktivität in unseren Kursen.
"Bedarfsorientiert" bedeutet: es werden nur solche Kurse gefördert, die an mehreren bayerischen Hochschulen zum Pflicht- oder Wahlpflichtprogramm in einem oder mehreren Studiengängen gehören. Die Studierenden können durch die erfolgreiche Teilnahme an diesen Kursen Leistungspunkte erwerben.
Die vhb-Kurse sind ein punktueller Ersatz für Präsenzveranstaltungen. Wir tragen auf diese Weise zur Entlastung der Hochschulen bei und helfen ihnen, der in den kommenden Jahren deutlich anwachsenden Zahl von Studierenden qualitativ hochwertige Lehre mit intensiver Betreuung zu bieten.
Gegenwärtig bieten wir nahezu 200 Kurse in neun Fächergruppen an. Im vergangenen Studienjahr konnten wir über 47.000 Kursbelegungen verzeichnen. Mit jährlichen Ausschreibungen entwickeln wir unser Programm weiter. Bis 2013 wollen wir das im Rahmen der vhb geleistete Studienvolumen verdoppeln.
Warum, schätzen Sie, gibt es in den anderen deutschen Bundesländern noch keine vergleichbaren Modelle?
Dr. Paul Rühl: Wir sind erstaunt, dass das Modell der hochschulübergreifenden bedarfsorientierten Entwicklung und Durchführung von Online-Kursen noch nicht weiter verbreitet ist. Dieses Modell bietet hervorragende Möglichkeiten, nicht nur die pädagogischen und didaktischen Möglichkeiten von eLearning zu nutzen, sondern auch dessen Potenzial an Wirtschaftlichkeit und Effizienzsteigerung.
Andere deutsche Länder haben "Virtuelle Hochschulen" oder vergleichbare Einrichtungen zum Teil deutlich früher gegründet als Bayern. Man hat dabei aber vielleicht nicht immer genügend berücksichtigt, dass es hier um etwas grundsätzlich anderes geht als um Forschungsförderung. Wenn Lehre gefördert werden soll, ist es mit der bloßen Entwicklung eines Kurses nicht getan - entscheidend ist dessen erfolgreiche - und das heißt auch: langfristige - Durchführung.
Ich halte es daher für wenig zielführend, Gelder für die reine Entwicklung von Kursen zur Verfügung zu stellen, solange deren langfristige Durchführung nicht gesichert ist. Wir stellen deshalb Mittel auch für die tutorielle Betreuung der Teilnehmer in unseren Kursen zur Verfügung. Die Teilnehmer selbst müssen nichts zahlen, wenn sie reguläre Studierende unserer Trägerhochschulen sind.
Nur mit dieser finanziellen Unterstützung der tutoriellen Betreuung ist es möglich, Lehrende dafür zu gewinnen, Studierende auch von außerhalb der eigenen Hochschule und über viele Semester hinweg zu betreuen. Wenn die Förderung der Teilnehmerbetreuung fehlt, wird man in der Regel nur diejenigen Lehrenden gewinnen, die die Entwicklung eines Online-Kurses eher als Forschungsvorhaben sehen, nach dessen Abschluss man sich gern neuen Aufgaben zuwendet.
Auf diese Weise lässt sich aber das ökonomische Potenzial von eLearning nicht nutzen, im Gegenteil: eLearning wird dann zur zwar möglicherweise besseren Lehre, jedoch mit in jedem Fall deutlich höheren Kosten als Präsenzlehre. Es leuchtet ein, dass die umfangreiche Förderung dieser Art von eLearning ein Ende finden musste.
In letzter Zeit beobachten wir, dass in einigen deutschen Ländern ein Umdenken einsetzt. Gerade in Zeiten angespannter öffentlicher Haushalte ist es besonders wichtig, das Potenzial zu nutzen, das die hochschulübergreifende Kursentwicklung und Kursnutzung bieten. Wir hoffen, dass wir demnächst Partner für eine länderübergreifende Zusammenarbeit finden.
Welche vergleichbaren Einrichtungen oder Modelle gibt es bei unseren europäischen Partnern und wie könnten dafür mögliche Kooperationen aussehen?
Dr. Paul Rühl: In einigen europäischen Ländern gibt es Ansätze, die dem der vhb ähnlich sind. Wir haben gemeinsam mit diesen Partnern das European Network of Networks for Higher Education Online gegründet, um eine länderübergreifende Kursnutzung und damit "virtuelle Studierendenmobilität" zu fördern. Außerdem wollen wir dazu beitragen, dass die europäische eLearning-Community den Fragen von Management und Wirtschaftlichkeit mehr Aufmerksamkeit schenkt.
Mit der Finnischen Virtuellen Universität arbeiten wir bereits seit einigen Jahren erfolgreich zusammen. Auf dem diesjährigen EDEN-Kongress in Lissabon konnten wir die ersten Beispiele länderübergreifender Kursnutzung vorstellen, und gegenwärtig wird erstmals ein gemeinsamer Mathematik-Kurs in englischer Sprache erstellt.
Welche Kapazitätseffekte sollen nach Vorstellung des Ministeriums durch die vhb erzielt werden?
Dr. Paul Rühl: Die vhb bietet keine vollständigen Studiengänge an. Ihre Kapazitätseffekte können deshalb nicht in Studienplätzen gemessen werden, wie sie im Rahmen von Kapazitätsverordnungen beziffert werden. Da die vhb Kurse anbietet, die punktuell Präsenzlehre ersetzen, hat sie aber durchaus einen kapazitätsrelevanten Effekt.
Dieser Effekt lässt sich näherungsweise in Studienplatz-Äquivalenten ausdrücken. Wenn man annimmt, dass ein durchschnittlicher Studierender je Studienjahr 40 Semesterwochenstunden belegt, entspricht das je Studienjahr in vhb-Kursen geleistete Studienvolumen gegenwärtig rund 3.000 Studienplatz-Äquivalenten. Dieses Volumen soll bis 2013 verdoppelt werden. Damit nähert sich das Lehr- und Lernvolumen der vhb dem einer kleinen Universität oder einer mittelgroßen Fachhochschule.