Virtueller Treff von Studenten und Praktikern
Tübingen, März 2012 - (von Prem Lata Gupta) Alle reden vom weltberühmten MIT, das seine Veranstaltungen online stellt und dadurch Tausende von virtuellen Teilnehmern generiert. Was aber, wenn Studierende vor Ort und externe Interessierte ein ganzes Semester lang aktiv zusammenarbeiten? Diese Idee des Blended Open Course wurde gerade an der Universität Tübingen im Diplom-Studiengang Psychologie erprobt. Der Initiator Dr. Johannes Moskaliuk berichtet über erste Erfahrungen. Sein Fazit: "Es tut Studierenden gut, mit Teilnehmern aus anderen Fachbereichen oder gestandenen Praktikern zusammenzuarbeiten."
Dr. Johannes Moskaliuk: Es ist der Versuch, ein geschlossenes Seminar an der Universität nach außen zu öffnen, und damit formales Lernen in Face-to-Face-Gruppen vor Ort und informelles, selbstgesteuertes, offenes Lernen im Web zu integrieren. Bei unserem Blended Open Course gab es Strukturen, also eine Anbindung ans Curriculum, auch Credits für eingeschriebene Studierende, die daran teilgenommen haben. Aber wir wollten uns nach außen öffnen und andere Interessierte einbinden, das waren zum Beispiel Coaches oder auch Weiterbildungsexperten aus der Praxis.
Warum diese neue Form?
Dr. Johannes Moskaliuk: Lernen an der Hochschule hat oft wenig Anknüpfungspunkte zur Wirklichkeit in Unternehmen und Organisationen. Obwohl sie lange studiert haben, fehlt vielen Jung-Akademikern deshalb die Fähigkeit, erworbenes Wissen aktiv zur Lösung von Praxisproblemen einzusetzen. Das geschlossene System Hochschule, insbesondere der Lehrbetrieb ist wenig offen für Fragen und Anforderungen von außen. Es macht Lernprozesse und Lehrinhalte nicht immer transparent.
Das Thema des ersten offenen Kurses war Workplace Learning und Wissensmanagement. Wie wurde denn diese Offenheit realisiert?
Dr. Johannes Moskaliuk: Der Kurs bestand aus sechs Einheiten. Es gab Offline-Veranstaltungen, aber eben auch als zentrale Informationsschnittstelle ein Weblog, in dem Beiträge veröffentlicht wurden. Wir haben Online-Sessions abgehalten mit unterschiedlichen Referenten. Diese fanden in virtuellen Klassenzimmern statt, wo unsere Referenten Vorträge und Präsentationen gehalten haben. Es konnte über Video und Audio gechattet werden. Für die Kommunikation zwischendurch haben wir auch Twitter genutzt, damit sich Offline- und Online-Teilnehmer unkompliziert austauschen konnten.
Wie groß war denn das Interesse an diesem Experiment?
Dr. Johannes Moskaliuk: Die Offline-Gruppe bestand aus sieben Studierenden.
Das ist doch ziemlich wenig...
Dr. Johannes Moskaliuk: Ja, bei den Veranstaltungen in den Vertiefungsfächern mit speziellen Themen haben wir oft kleine Lerngruppen.
Und wie viele Leute haben sich von außen zugeschaltet?
Dr. Johannes Moskaliuk: Das waren im Verlauf des Semesters insgesamt 170. So viele hatten den Newsletter abonniert. Und der war Grundlage, um sich näher mit einer Einheit zu befassen. Allerdings waren die Online-Teilnehmer nicht alle von Anfang bis Ende dabei. Es hat sich ein harter Kern von 20 bis 30 Interessierten herauskristallisiert, die wirklich fast alle Kanäle genutzt haben, um etwas beizutragen. Die haben online diskutiert, Blogbeiträge verfasst und waren auch im virtuellen Klassenzimmer fast immer dabei.
Wie haben Sie beziehungsweise die Studenten diese neue Form des Lehrens und Lernens erlebt?
Dr. Johannes Moskaliuk: Die Studierenden waren sehr motiviert. Für mich als Impulsgeber war das Experiment durchaus arbeitsintensiv. Ich habe neben der Auswahl der Themen, der inhaltlichen Vorbereitung der Offline-Veranstaltungen, Referenten organisiert, zu jeder Einheit einen einleitenden Blogbeitrag geschrieben. Manche Referenten hatten auch noch keine Erfahrung damit, nur über das Internet mit ihrem Auditorium verbunden zu sein. Teilweise hat sich das Konzept des Kurses im Kurs weiterentwickelt.
Ihr Fazit lautet wie..?
Dr. Johannes Moskaliuk: Es ist spannend gewesen und es lohnt sich, weil solch eine Begegnung von Offline- und Online-Teilnehmern, von Studierenden und Praktikern. für beide Seiten profitabel ist. Allerdings muss man auch stark darauf achten, die Teilnehmer gut einzubinden. Wir haben bei unserem Konzept beispielsweise so genannte Paten benannt. Diese stammten aus dem Kreis der Online-Teilnehmer. Ihre Aufgabe war, inhaltlich die Patenschaft für eine Einheit zu übernehmen, auf Blogbeiträge der Offline-Teilnehmer zu antworten und den Lernprozess innerhalb "ihrer" Einheit zu begleiten.
Was passiert als nächstes?
Dr. Johannes Moskaliuk: Im April wird wieder ein offener Kurs stattfinden, organisiert von Kollegen aus dem Institut für Wissensmedien in Tübingen, gemeinsam mit Kooperationspartnern. Das bedeutet, dies Thema war keine Eintagsfliege. Gar nicht einfach finde ich übrigens die Frage, wie man in solch einem Open Course Leistung bewertet. Die klassische universitäre Bewertungskultur funktioniert in einem solchen Format nicht. Auch wenn ein Open Course spannend wirkt - ein Selbstläufer ist er als Veranstaltung damit längst noch nicht. Die Interaktion muss immer wieder angeschoben, Online- und Offline-Teilnehmer müssen integriert werden.
Aber laufen Sie bei den Digital Natives mit diesem offenem Angebot nicht offene Türen ein? Die sind doch ständig auf "on"...
Dr. Johannes Moskaliuk: Ja, aber wer beispielsweise auf Facebook aktiv ist, nutzt diese Plattform meist für andere Zwecke. Er muss trotzdem erst lernen, sein Wissen aufzuschreiben und mit anderen zu teilen. Und das Ganze vor allem öffentlich im Netz zu tun. Insofern betreten auch viele Studierende hier Neuland.