Hochschule: Lernbedürfnisse genau betrachtet
London/Köln, April 2018 (von Manuel Nitzsche, Regional Director für Deutschland, Österreich und Schweiz beim LMS-Anbieter Instructure) Digitalisierung – das Thema ist omnipräsent. Sogar Anja Karliczek, neue Bundesministerin für Bildung und Forschung, antwortet in einem Interview der Wochenzeitung Zeit auf die Frage nach ihrer höchsten Priorität: "Digitalisierung". Doch schlechte Lehre wird durch digitale Medien nicht besser, Schüler und Studierende durch Videos nicht zwingend schlauer. Es geht eben nicht um Digitalisierung als Selbstzweck, sondern um eine Strategie für die digitale Welt. Wir konzentrieren uns hier auf zwei Leitfragen: Was ist der Bedarf der Lernenden? Was müssen Hochschulen bieten, um diesen Bedarf zu erfüllen?
Die Erwartungen der Studierenden haben sich geändert
Die Zeiten haben sich geändert. So banal das klingt, so wichtig ist es, diesem Umstand Rechnung zu tragen. Studierende von heute sind längst technisch versiert, Tablet und Smartphone sind selbstverständlich. Und selbstverständlich ist damit auch, Wissen zu jeder Zeit und an jedem Ort abzurufen. Niemand muss in eine Bibliothek gehen, um in der Encyclopedia Britannica nachzuschlagen oder einen Aufsatz zu lesen. Warum also sollte man zwingend jeden Montag zwischen 8 und 12 die Vorlesung besuchen, um etwas über den internen Zinsfuß oder die kulturellen Dimensionen nach Hofstede zu lernen? Kann man sich den Stoff nicht besser via Vorlesungsvideo aneignen?
Lernen wird noch flexibler
Bereits 1967 hat das Telekolleg Unterricht per Fernsehen mit Selbststudium und Präsenzunterricht kombiniert. Dank der Nutzung des Fernsehens – einer frühen Form von Blended Learning – konnte man auf die Lernbedürfnisse von Berufstätigen eingehen. Heute sind die Lebensumstände heterogener, und die Technik erlaubt flexibles Lernen.
Denn Bildungseinrichtungen können auf die Lernbedingungen ihrer Studierenden eingehen: Steht die Vorlesung etwa als Video, das Begleitmaterial als Download, die häufigsten Fragen im FAQ-Wiki und der Dozent per Live-Chat zur Verfügung, können junge Eltern die Vorlesung auch am Abend digital besuchen. Ähnliches gilt für Studierende, die parallel zum Studium Geld verdienen müssen oder Berufstätige, die berufsbegleitend studieren. Mit einer ausgewogenen Kombination aus Präsenzveranstaltung und eLearning lassen sich Studium, Beruf und Familie leichter vereinbaren.
Lernen wird so individuell wie möglich
Auch die Bedürfnisse von Lernenden unterscheiden sich: Der eine lernt am besten am frühen Morgen in einer Gruppe, der andere ist am Abend besonders konzentriert und aufnahmefähig. Einer lernt durch Hören, der andere bevorzugt schematische Darstellungen. Wie können Bildungseinrichtungen auf die Vielfalt der Lernbedürfnisse eingehen?
Was bisher praktisch unmöglich war, vereinfacht sich durch digitale Lernunterstützung. Lernplattformen bieten die Möglichkeit, Lernstoff auf viele Arten aufzubereiten – als Video, als Spiel, als Gruppenaufgabe im virtuellen Raum oder Kursraum. In der Regel bleibt der Aufwand dabei überschaubar, der Lernerfolg aber steigt. Klar, denn die Studierenden lernen entsprechend ihrer individuellen Stärken und können dabei die Lerngeschwindigkeit selbst bestimmen.
Lernen aktuell und relevant: "Non scholae, sed vitae discimus"
"Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir" – Ist Lernen relevant und unterhaltend, dann steigt die Motivation gleich doppelt. Etwa durch erfahrungsbasiertes Lernen, bei dem Lernende sich unmittelbar mit dem Lerngegenstand auseinandersetzen. Bildungseinrichtungen können hier gezielt Angebote mittels Technologie erweitern: Peer-to-Peer-Lernen, Filme und Case Studies sorgen für emotionale Lernerlebnisse und machen das Gelernte relevant.
Warum nicht im VWL-Hauptseminar die Konsequenzen eines Handelskrieges mit verteilten Rollen durchspielen? Das gemeinsame Lernerlebnis und die Erfahrungen sind brandaktuell, was sich mit analogen Lernmaterialien schwer realisieren lässt. Und wer will sich schon überholtes Wissen aneignen? Hier liegt eine besondere Stärke digitaler Technologien: Lehrende können das Material ständig anpassen, um den Lernprozess optimal zu unterstützen.
Lern-Analyse, denn der richtige Mix zählt
Die Digitalisierung erweitert das didaktische Repertoire, bringt aber die Eingangsfrage umso drängender zurück: Was brauchen Studierende? Zwar wird das Lernen flexibler und der Unterricht individueller. Doch kommt das Wissen bei den Lernenden an? Die Auswertung des Lernprozesses gibt Rückschlüsse auf Lerner-Präferenzen und erlaubt individuelles Feedback. Studierenden steht zugleich ein Werkzeug für Self-Assessment in der Selbstlernphase zur Verfügung. So können Lehrende und Lernende jederzeit sehen, wo sie stehen. Studien belegen, dass gutes Feedback Lernerfahrung und -motivation besonders positiv beeinflusst und den Lernerfolg steigert.
Fazit
Lernbedürfnisse haben sich geändert – sei es als Folge der Digitalisierung, sei es als Nutzung der Digitalisierung. Bildungseinrichtungen sind gefordert, sich auf die Lernenden einzustellen. Hier helfen digitale Technologien wie das Learning Management System (LMS) Canvas. Technologie erlaubt zudem das Eingehen auf persönliche Präferenzen der Lernenden, vorausgesetzt diese werden mittels Analysen erkannt und bedient. Und die Hochschulen? Die sollten sich strategisch so auf die Digitalisierung einstellen, dass sie den geänderten Lernbedürfnissen entsprechen und die technologischen Chancen zur Verbesserung der Lehre nutzen. Das ist auch der Grundstein für ein lebenslanges Lernangebot und Wachstum – monetär oder an Reputation. Insofern brauchen wir keine digitalisierten Hochschulen, sondern Hochschulen für die digitale Welt.