Paradigmenwechsel bei der eLearning-Preis-Vergabe
Krems, April 2008 - Die Einreichfrist für den MEDIDA-PRIX 2008 wurde in diesem Jahr verlängert. Doch nicht nur die Zeitspanne zur Abgabe wurde ausgedehnt, sondern auch das inhaltliche Konzept überdacht und neu formuliert. Prof. Peter Baumgartner als wissenschaftlicher Leiter dieses höchst dotierten eLearning-Preises im deutschsprachigen Raum, zeichnet die Entwicklung des MEDIDA-PRIX für CHECK.point eLearning nach und bringt die künftige Ausrichtung auf den Punkt.
Herr Prof. Baumgartner, Sie vertreten die These, dass der MEDIDA-PRIX seine ursprüngliche Funktion als "Trendsetter im Hochschulbereich" eingebüßt hat. Wie und warum kam es dazu?
Prof. Peter Baumgartner: 1999 diskutierten wir innerhalb des Vorstands der GMW (Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft) erstmals das Konzept der Einrichtung eines
Preises. Sein Ziel sollte es vor allem sein die Entwicklung der Qualität der Lehre an Hochschulen mittels eLearning fördern.
Als wir im Jahre 2000 den Preis erstmals an der Universität in Innsbruck gefördert durch das österreichische Bundesministerium durchführen, war das Profil schon bereits klar umrissen: Es ging nicht mehr bloß um die Gestaltung einer mediendidaktische Einzellösung, sondern um Fragen der
Nachhaltigkeit, Qualitätssicherung, sowie Personal- und
Organisationsentwicklung an Hochschulen.
Der MEDIDA-PRIX wies damit explizit auf Faktoren und Rahmenbedingungen hin, ohne die sich eLearning nicht
entwickeln kann, ohne die - selbst sehr gut gemachte interaktive Programme - nicht in den Alltag der Hochschulen nachhaltig implementiert werden können. Er setzte damit einen Art Kontrapunkt zu der damaligen eLearning Szene, die
vor allem durch Einzelinitiativen und engagierten InnovatorInnen geprägt war.
Es war daher nur folgerichtig, dass der MEDIDA-PRIX dann nach einigen Jahren zusätzlich eine neue Schiene "eLearning Strategien" ausschrieb und damit aufzeigte, dass eLearning "Chefsache" ist, d.h. auch von "oben", von den
Hochschulleiten explizit strategisch aufgegriffen und gefördert werden muss.
Diese Ideen - so fortschrittlich sie auch zur damaligen Zeit waren - haben sich inzwischen in der Community weitgehend durchgesetzt und sind zu einem allgemeinen Trend geworden. Ich glaube, dass wir mit einem gewissen Stolz sagen können, dass - neben den großen und breit gefächerten
Förderinitiativen in der Österreich, Schweiz und Deutschland - auch der MEDIDA-PRIX einen Anteil an dieser Entwicklung hatte.
Welche Auswirkungen hatte die Schaffung einer Vielzahl weiterer Auszeichnungen und Awards im (Hochschul-) eLearning-Bereich auf den MEDIDA-PRIX? Sehen Sie eine allgemeine "Award-Inflation"?
Prof. Peter Baumgartner: (lacht): ja, so könnte man es nennen. Aber ich sehe darin keinen Nachteil sondern ganz im Gegenteil: Über einen Preis, eine öffentliche Anerkennung
lässt sich der Umschwung zu einer neuen Entwicklung bzw. die Stärkung bestimmter Faktoren relativ einfach und auch billig erreichen.
Wie wird der MEDIDA-PRIX erneut zu einer "Lokomotive"?
Prof. Peter Baumgartner: Wir müssen uns überlegen, was die folgerichtigen nächsten Schritte in der Entwicklungen der mediengestützten Lehren an den Hochschulen sind. Ich glaube,
dass wir mit der zusätzlichen Aufnahme neuer Kriterien, die alle in Richtung so genannter "Freier Bildungsressourcen" ("Open Educational Resources" also Ressourcen, die allgemein und frei zugänglich sind) gehen einen richtigen - und vor allem im deutschen Sprachraum noch wenig wahrgenommene -
Entwicklungsrichtung eingeschlagen haben.
In gewisser Weise handelt es sich dabei um einen Paradigmenwechsel in der bisherigen Entwicklung des MEDIDA-PRIX. Wir haben allerdings diese Neuorientierung sehr vorsichtig eingeleitet, weil wir diesen neuen Bewertungskriterien vorerst nur 1/3 der Gesamtwertigkeit gegeben haben. Mein Wunsch wäre es, dass wir in den nächsten Jahren schrittweise weiter in diese Richtung gehen.
Worin besteht nun dieser Paradigmenwechsel: Bisher haben wir gefordert, dass Einreichungen curriculare Nachhaltigkeit und strategische Implementierungsprozesse an den Hochschulen nachweisen. Mit der Forderung nach frei zugänglichen Bildungsressourcen setzt der MEDIDA-PRIX einen bildungspolitischen Akzent, der weit über den Bereich der Hochschule hinausgeht. Hochschulen werden damit nicht nur in ihrer Funktion als Ausbildungs- und Forschungsstätten, sondern auch in ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung angesprochen.
Frei erhältliche Bildungsressourcen sind eben Inhalte oder Software deren Zugang weder durch Preis, Technik, Curriculum, Hochschule oder Land eingeschränkt werden darf. Natürlich bedeutet Open Educational Resources (OER) nicht automatisch, dass auch pädagogische Betreuungsprozesse oder Zertifizierungen (Prüfungen) frei zugänglich sind. Im Gegenteil: Der freie Zugang zu den Ressourcen macht deutlich, dass Bildung eben mehr ist als bloß entsprechender Materialien habhaft zu werden. Wäre dies der Fall, dann
bräuchten wir keine Bildungsinstitutionen mehr, sondern bloß Bibliotheken.
Übrigens ist die Idee der frei erhältlichen Bildungsressourcen auch eine enorme wissenschaftliche Herausforderung, sowohl auf technischem, didaktischen als auch organisatorischem Gebiet. Forschungsfragen die mit OER
angeregt werden sind:
- Wie ist Interoperabilität der Systeme möglich?
- Wie können geeignete Inhalte gefunden und eingebunden werden?
- Wie können Inhalte leicht angepasst werden?
- Wie können Inhalte in unterschiedlichen didaktischen Settings wieder
verwendet werden? - Welche Austauschmodelle (Geschäftsmodelle) sind tragfähig?
- Wie kann Qualität gesichert werden? Usw.
Müssen die Konzepte, anhand derer eLearning-Preise vergeben werden, generell regelmäßig überarbeitet werden?
Prof. Peter Baumgartner: Das hängt davon ab: Wenn Sie beispielsweise wie bei einem Film-Award sich (spontan) herausbildende Entwicklungen oder Best Practice Beispiele - die von Fall zu Fall immer neu festgestellt werden - auszeichnen wollen, dann ist dies nicht notwendig. Wenn Sie jedoch versuchen wollen eine gewisse Entwicklungsrichtung zu fördern, dann müssen Sie auch immer wieder einen Abgleich zwischen dem aktuellen Stand der Entwicklung und Ihren
Preiskriterien vornehmen.
Bei eLearning macht meiner Meinung nach beides Sinn: Auf der einen Seite generelle Auszeichnungen, die quasi a tergo, also im Nachhinein zeigen, wo die Community steht und was als Best Practice anzusehen ist. Auf der anderen Seite Awards die pro futuro wirken sollen und dementsprechend ihre Kriterien
so ausrichten, dass sie eine gewünschte Entwicklungsrichtung fördern.
Möglicherweise ist die pro futuro Ausrichtung des MEDIDA-PRIX auch nur Episode in der Qualitätsentwicklung von eLearning an Hochschulen und wird bei der Etablierung allgemein hoher Standards bzw. wenn nicht mehr absehbar ist, worin der nächste Entwicklungsschritt bestehen könnte, obsolet. In
diesem Fall müsste der MEDIDA-PRIX entweder ein "allgemeiner" Preis werden oder aber auch seine Funktion als erfüllt sehen und eingestellt werden.
Welche spürbaren Neuerungen erwarten die Kandidaten für den
MEDIDA-PRIX 2008 konkret?
Prof. Peter Baumgartner: Die wesentlichen Neuerungen betreffen Inhaltliches wie auch Organisatorisches: der Kriterienkatalog, der die beiden Preiskategorien "Digitale Medien in der Hochschullehre" und "Hochschulentwicklung mit Digitalen Medien" beinhaltete, wurde in eine Bewertungslinie zusammenführt. Zusätzlich wurden in der neuen Ausschreibungsrunde nun auch verstärkt Initiativen zur Entwicklung frei zugänglicher Bildungsressourcen und alles was für deren breite Nutzung notwendig ist (z.B. Austauschmodell, Qualitätssicherung, Metadaten, geeignete Lizenzierung etc.) in den Blickpunkt gebracht.
Neben dem Kriterienkatalog wurde der Evaluierungsprozess erneuert. Bisher genügte ein positives Gutachten um es als Projekt bis in den ExpterInnenworkshop Ende Juni zu schaffen. Um eine Runde weiter zu kommen sind nun zwei unabhängige positive Fachgutachten notwendig. Ist dies der Fall, nehmen die TeilnehmerInnen automatisch an der nächsten Ausscheidungsrunde teil. Sollten zwei unterschiedliche Gutachten vorliegen, wird ein drittes - entscheidendes - Gutachten eingeholt.
Zwanzig anstatt bisher zehn FinalistInnen werden Ende Juni bei dem ExpertInnenworkshop ermittelt und zu öffentlichen Hearings (15.-16. September 08) an die Donau - Universität Krems eingeladen, wo sie im Zuge der MEDIDA-PRIX Messe vom 16.-17. September Ihre Projekte einem erweiterten Konferenzpublikum präsentieren können.
Die Ehrung der PreisträgerInnen soll die breite Öffentlichkeit erreichen. Der MEDIDA-PRIX kann damit seine Wirkung weit über die (immer noch recht kleine) eLearning Community hinaus zeigen. Daher findet 2008 die öffentliche Preisverleihung nicht in Krems - am Tagungsort der GMW-Veranstaltung - statt, sondern in der 80 km entfernten Bundeshauptstadt Wien. Bundesminister Johannes Hahn wird die Preisverleihung am 18. September im Radio Kulturhaus persönlich durchführen.
Erstmalig in diesem Jahr findet die Einreichung inkl. Beurteilung durch die FachgutachterInnen komplett online statt.