Die Besonderheiten des Homeoffice bewältigen
München, April 2022 – Prof. Eberhard Steiner ist Geschäftsführer des Instituts für Unternehmenssteuerung und Veränderungsmanagement (UVM-Institut) in München. Das UVM-Institut berät Unternehmen und Verwaltungen im Bereich Strategie- und Innovationsprozesse, Change Management, Agile Methoden und Work 4.0 sowie Aspekten der Digitalisierung. Er ist Herausgeber und Co-Autor mehrerer Fachbücher u.a. zu "Führung von Mitarbeitenden im Home Office". Darüber spricht er auch am 31. Mai 2022 um 12.15 Uhr im LEARNTEC-Kongress.
Das Homeoffice ist mittlerweile für viele ein normaler Arbeitsplatz. Welche Kernprobleme identifizieren Sie bei dieser Arbeitsform?
Prof. Dr. Eberhard Steiner: Ich würde nicht die Probleme in den Fokus nehmen, sondern eher von Besonderheiten besprechen, die man im Auge haben sollte, damit sie nicht zu Problemen werden. Man kann diese Besonderheiten in drei Gruppen einteilen: Organisatorische Fragen, führungsbezogene Fragen und Selbstmanagementthemen.
Organisatorische Fragen sind wichtig, aber auch vergleichsweise einfach zu lösen. Es braucht eine stabile Internetanbindung mit hoher Sicherheit, es braucht Regelungen zum Datenschutz, zur Arbeitssicherheit, zur Kostenübernahme für Büromöbelanschaffungen und ähnliches. Hilfreich ist hier eine schriftlich explizierte Homeoffice-Policy.
Führungsbezogene Fragen sind schon herausfordernder. Hier geht es um den Kontakt mit den Mitarbeitenden und die Kommunikation, die Aufrechterhaltung von Teamzusammenhalt, die Organisation von Arbeitsabläufen. Wie kann Motivation gelingen? Wie kann man Leistung auf Distanz beurteilen? Wie kann man Leistungseinbußen aufgrund ausbleibender Teamproduktivität kompensieren? Wie integriert man neue Mitarbeitende in das Team? Wie hält man die Identifikation mit dem Unternehmen aufrecht? Wie geht man mit Unsicherheiten um und wie mit Fehlern? Was tut man bei Konflikten?
Hier braucht man Lösungsideen. Vieles dreht sich um das Spannungsfeld von Vertrauen und Kontrolle. Führungskräfte sollten hier unterstützt werden, und zwar nicht nur durch klassische Schulungen, sondern auch durch die Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch und zum best practice sharing, z.B. im Rahmen kollegialer Beratungen.
Der dritte Punkt ist der herausfordernste: die Fähigkeit zum Selbstmanagement. Wie kann man sich selbst davor bewahren, Arbeit zu sehr ins Private mitzunehmen, wenn die Arbeit direkt neben dem Esstisch lauert? Wie kann man den Tag strukturieren? Welche Routinen helfen, Abstand von der Arbeit zu bekommen und abschalten zu können? Wie gelingt ein gutes Zeitmanagement? Wie findet man Ruhe und Konzetration im Homeoffice, wenn man dort von anderen Tätigkeiten ablenkt wird?
Alle diese Besonderheiten können bewerkstelligt werden, sie kommen ja in anderer Form auch am Arbeitsplatz im Büro vor: Arbeitssicherheit, Datenschutz, Führungskräfte, die sich überfordert fühlen, Mitarbeitende, die durch privates Internetsurfen ablenkt werden, das alles gibt es auch im Büro. Es spricht nicht gegen das Homeoffice. Entscheidend ist eher zu überlegen, für wen sich ein Homeoffice eignet – und für wen nicht. So sind z.B. Gewissenhaftigkeit, soziale Verträglichkeit und Ehrlichkeit zuträgliche Persönlichkeitseigenschaften für Mitarbeitende im Homeoffice.
Mitarbeiterführung auf Distanz wird in diesem Zusammenhang vielfach diskutiert. Haben sich hierfür "goldene Regeln" herauskristallisiert?
Prof. Dr. Eberhard Steiner: Eine wirkliche Grundregel ist Vertrauen: Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeitenden und in deren Bereitschaft, ihre Arbeit sorgfältig und richtig zu erledigen. Viele Vorgesetzte haben eine Kontrollillusion. Sie glauben, sie könnten die Mitarbeitenden im Büro besser führen. Das ist ein Irrtum, denn Führungskräfte können ja nicht ständig die Mitarbeitenden beobachten – sie haben punktuellen Kontakt und glauben, dass sie damit alles im Griff hätten. Von diesem Kontrollzwang muss man sich lösen. Es ist hilfreich, bis zum nachhaltigen Beweis des Gegenteils, davon auszugehen, dass man es mit vernunftbegabten, motivierten Mitarbeitenden zu tun hat, denen man etwas zutrauen kann.
Wenn das Gegenteil bewiesen wird, sollte man sich die Frage stellen, was denn bei der Führung falsch gelaufen ist. Die überwiegende Mehrzahl der Mitarbeitenden im Büro ist motiviert und erledigt die Arbeiten zuverlässig. Und dennoch richtet man Kontrollmechanismen ein, die auf den schlimmsten Fall ausgerichtet werden, als ginge es im Verwaltungsbereich um gefahrgeneigte Tätigkeiten. Diese Mechanismen funktionieren dann im Homeoffice nicht mehr und man erlebt einen Kontrollverlust. Das macht manchen Führungskräften zu schaffen.
In diesen Kontext gehört auch die Frage nach der Leistungsmessung. Diese wird ja immer noch als Teil von Anreizsystemen für Bonusausschüttungen verwendet. Eine solche Leistungsmessung ist schon im Büro oftmals eine Illusion: Wie kann man die Leistung in einem Verwaltungsberuf wirklich messen? Das sind sehr oft Scheinobjektivierungen. Im Homeoffice wird das dann oftmals absurd. Davon sollte man sich verabschieden, das passt nicht mehr in die Zeit.
Eine weitere "goldene Regel" ist die Gerechtigkeit. Man braucht faire Prozesse, Entscheidungen, Informationen und Regelungen, die die Entscheidung für oder gegen einen Arbeitsplatz im Homeoffice nicht von Sympathie abhängig machen, sondern von objektivierten Kriterien. Man muss sich Gedanken machen, wie man fair mit den Mitarbeitenden umgeht, die aufgrund der Tätigkeit kein Homeoffice machen können, also z.B. das Verkaufspersonal an der Kasse und die Arbeitenden am Fließband.
Dann ist es sinnvoll, sich über Motivationsfaktoren Gedanken zu machen. Mitarbeitende, die ein hohes Anschlussmotiv haben, werden im Homeoffice vielleicht eine Vereinsamung erleben. Machtmotivierte Führungskräfte werden es als Einbuße an Macht empfinden, wenn die Mitarbeitenden nicht mehr im Büro anzutreffen sein. Mache Mitarbeitenden werden vielleicht aufblühen, wenn der Kontakt zu einer unverträglichen Führungskraft abnimmt. Leistungsmotivierte Personen schätzen es vielleicht, unabhängig und ohne Störung alleine im Homeoffice zuarbeiten. Je nach Motivstruktur wird die Situation und damit die Vor- und Nachteile des Homeoffice anders interpretiert.
Führungskräfte brauchen eine partizipative Orientierung und eine Sensibilität, Bedürfnisse der Mitarbeitenden auch ohne direkten persönlichen Kontakt zu erkennen. Sie brauchen mehr Zeit für die eigentliche Führungsarbeit, etwas was bei vielen Führungskräften zu knapp bemessen wird. Führungskräfte müssen eher in der Lage sein, über Sinn und Werte zu führen, zu delegieren und strategische Arbeit anzustellen, statt im Operativen zu verharren und über Anweisung und Kontrolle zu führen. Es gilt Abschied zu nehmen vom Herrschaftswissen, das auf die Führungskraft konzentriert ist, die alles weiß und kann. Führungskräfte müssen sich mehr darauf fokussieren, die Fähigkeiten und das Wissen der Mitarbeitenden zu moderieren, statt alles selbst im Griff haben zu wollen.
Worin unterscheiden sich Ihres Erachtens Homeoffice und mobiles Arbeiten am stärksten?
Prof. Dr. Eberhard Steiner: Mobile Office wirft noch zusätzliche Fragen auf. Wie ist der Datenschutz gewährleistet, wenn jemand im Zug am Notebook arbeitet oder telefoniert? Sie können da die ganze Historie von Geschäftsbeziehungen mitbekommen, wenn ein Mitarbeitender im Zug Telefonate führt. Wie steht es um den Arbeitsschutz? Welche Vorkehrungen trifft man gegen den Verlust von Endgeräten, wenn ein Notebook liegengelassen wird? Wie geht man damit um, dass Mitarbeitende im Ausland arbeiten können, was steuerrechtliche und versicherungsrechtliche Fragen aufwirft. Klare Regeln und Vorkehrungen sind hier wichtig.
Arbeiten im Mobile Office ist potenziell dynamischer. Während man sich im Homeoffice oft einen Arbeitsbereich fest einrichten kann, ist Mobile Office von Veränderung geprägt. Dann kommen noch ganz praktische Fragen auf: Wie ist die Internetanbindung sichergestellt? Wie klappt es mit dem Telefontermin, wenn man im Funkloch ist? Wie kann man in Ruhe arbeiten, wenn das Hotelzimmer keinen Schreibtisch hat? Wie geht man mit unterschiedlichen Zeitzonen um? Wie wird die Einhaltung von Arbeitszeitvorschriften sichergestellt? Eine Regelung dieser Fragen sollte in jedem Fall schriftlich und im Einzelfall erfolgen.
Wie imaginieren Sie die Zukunft des Homeoffice? Per Gesetz? Individuell per Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Vereinbarung? Oder ganz anders?
Prof. Dr. Eberhard Steiner: Wenn man mal transzendiert, was in den letzten 2,5 Jahren passiert ist, dann kann man davon ausgehen, dass sich das Homeoffice sich als Arbeitsform etabliert hat und bleiben wird. Die Menschen haben jetzt gemerkt, dass das in vielen Bereichen funktioniert, weil sie oftmals zwangsweise ins Homeoffice geschickt worden sind. Unvernünftig wäre es, wenn Arbeitgeber nun das Rad wieder zurückdrehen wollen. Damit riskiert man viele Demotivationserfahrungen, davon kann man nur abraten. Viele Mitarbeitende werden einen gewissen Anteil von Homeoffice schätzen, genauso wie sie es schätzen werden, wieder mit den Kolleginnen und Kollegen im Büro zu sein – auf die Mischung kommt es an.
Richtig ist aber auch, dass nicht jede und jeder gerne im Homeoffice arbeiten will – Freiwilligkeit ist eine wichtige Anforderung. Die Aussage "mein Haus ist kein Bürogebäude" hat durchaus ihre Berechtigung. Geklärt werden muss also auch, wie man damit umgeht.
Für die Arbeitgeber wird es auch eine Kostenentscheidung sein: Wenn man nicht mehr Büroflächen für alle Mitarbeitenden vorhalten muss, eröffnet dies Einsparpotentiale. Diese werden ergriffen werden, das gebietet der ökonomische Sachverstand: Wenn evtl. Leistungseinbußen durch die Arbeit im Homeoffice geringer ausfallen als die Einsparung durch wegfallende Raumkosten, dann ist es ökonomisch sinnvoll, Homeoffice beizubehalten. Ich vermute stark, dass dem so ist. Insbesondere da viele Unternehmen die Investitionen für Homeoffice schon getätigt haben (IT-Ausstattung, Büromöbel).
Wichtig ist, die Unterstützung der Führungskräfte sicherzustellen und auch die Mitarbeitenden in der Arbeit daheim nicht alleine zu lassen – hier können Konzepte für das richtige Zeit- und Selbstmanagement, den Umgang mit Stress und Burn Out wichtig sein.
Was die rechtliche Gestaltung angeht denke ich, sollte der Gesetzgeber gewisse Rahmenvorgaben machen. Ein Recht auf Homeoffice sehe ich als Wirtschaftswissenschaftler kritisch, denn wenn die ökonomischen Vorteile überwiegen, wird sich dies ohnehin durchsetzen. Von zu starren Vorgaben würde ich absehen. Eher muss man sich Gedanken darüber machen, ob es ein Recht auf Büroarbeit geben muss, damit Mitarbeitende ohne Möglichkeit für ein Homeoffice nicht benachteiligt werden.
Als wichtig sehe ich Vereinbarungen im Unternehmen an. Hier sollte sich jedes Unternehmen Gedanken machen, wie eine Homeoffice-Policy aussehen kann und diese mit dem Betriebsrat aushandeln. Evtl. wird dies auch verstärkt in Tarifverträgen eine Rolle spielen. Erwarten kann man auch, dass dies künftig verstärkt Eingang in Arbeitsverträge finden wird und dann auch häufiger rechtliche Aspekte gerichtlich geklärt werden müssen, so ja unlängst zu der Frage, ob ein der Sturz auf dem Weg vom Schlafzimmer ins Homeoffice als Arbeitsunfall anzusehen ist – ein 2021 vom Bundessozialgericht entschiedener Fall, der es ja sogar bis in die Nachrichten bei CNN geschafft hat. In Fällen wie diesem wäre gesetzliche Regelungen sicherlich hilfreich.
Man kann ja auch die spannende Frage stellen, wie man Bürogebäude der Zukunft baut, Stichwort Multi-Space. Wie werden Bürogebäude gestaltet, dass Mitarbeitende auch gerne mal wieder im Büro arbeiten, Stichwort WorkCafé. Die Arbeit im Office vor Ort hat ja weiterhin eine große Bedeutung für Kommunikation, Teamzusammenhalt und Identifikation mit dem Arbeitgeber.
Wichtig ist es, dass man nicht versucht, auf Biegen und Brechen das Arbeiten im Homeoffice bzw. mobiles Arbeiten an die bestehende Arbeitsorganisation anzupassen, sondern die Art zu arbeiten flexibel auf die neue Situation ausrichtet.
Als Innovationsforscher plädiere ich dafür, die neu gewonnen Freiheit durch flexible und hybride Arbeitsformen zu schätzen und gezielt einzusetzen. Im Homeoffice bleibt mehr Raum für Kreativität, das Leben gemäß dem eigenen Chrono-Rhythmus, die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf und es schont Ressourcen und die Umwelt.