EdTechs aus Deutschland bleiben ein Nischenphänomen
Dortmund, August 2019 - (von Dr. Ulrich Schmid, mmb-Institut) Unter dem Titel "Beauty statt Bildung" veröffentlichte ich vor knapp zwei Jahren eine ernüchternde Bilanz der Gründungs- und Finanzierungsdynamik im deutschen EdTech-Bereich. In den Portfolios der führenden Investoren fanden sich damals nur sehr vereinzelt junge Bildungsunternehmen und Start-ups. Wie ist die Situation heute – was hat sich etwas getan? Um es vorweg zu nehmen: Es hat sich nicht viel verändert, schon gar nicht zum Positiven.
Laut EY-"Start-Up-Barometer" ist zwar sowohl das Start-up-Finanzierungsvolumen insgesamt (plus 7 Prozent) als auch die Anzahl der Finanzierungsrunden (plus 22 Prozent) zwischen 2017 und 2018 angestiegen; im EdTech-Segment ist der Trend aber gegenläufig: Während 2018 gerade einmal drei „EdTechs“ mehr finanziert wurden als 2017 (14 statt 11), ging das Investitionsvolumen im Vergleich zum Vorjahr um satte 40 Prozent auf 43 Mio. Euro zurück. Zum Vergleich: Insgesamt wurden hierzulande in 2018 4,6 Mrd. Euro in Start-ups investiert. Allein die FinTechs (konnten sich über 676 Mio, Euro Venture Capital sichern, in eCommerce-Start-ups flossen sogar über 1,6 Mrd. Euro. Nur ein Bereich rangiert in Deutschland noch hinter EdTech, nämlich "AgTech" (Agrartechnologische Startups).
Halten wir also fest: Nicht einmal 1 Prozent der Start-up-Investitionen in Deutschland geht in junge Bildungsunternehmen! Dabei sind laut Deutschem Start-Up-Monitor von KPMG immerhin knapp 4 Prozent aller Start-ups hierzulande dem Bildungsbereich zuzuordnen. Angesichts der Verheißungen digitaler Bildungstechnologien und der breiten öffentlichen Diskussion darüber, insbesondere mit Blick auf "Digital-Pakt" und "Schul-Cloud", ist dies ein durchaus bedrückender Befund. Doch wie lässt er sich einordnen, erklären, begründen?
Vergleichende Einordnung
43 Mio. Euro Venture Capital für EdTechs hierzulande stehen im Kontrast zu über 200 Mio Euro, die alleine in Großbritannien im vergangenen Jahr investiert wurden. In Gesamt-Europa wurden im selben Zeitraum ca. 616 Mio Euro in EdTechs investiert. Somit vereinen alleine die 1.200 britischen EdTech-Unternehmen etwa ein Drittel des europäischen Venture Capitals für Bildung auf sich. Die deutschen Bildungs-Start-ups erhalten demgegenüber gerade einmal 6 Prozent der Investitionen in Europa. Wenngleich solche Zahlen und Vergleiche naturgemäß mit gewissen Unschärfen verbunden sind, zeigen sie doch die Größenverhältnisse.
Das gilt erst recht mit Blick auf die globalen EdTech-Investitionen: Die private Bildungsberatung HolonIQ konstatiert für das Jahr 2018 eine Verdoppelung der weltweiten EdTech-Investments im Vergleich zum Vorjahr: auf insgesamt 6 Mrd. US-Dollar – etwa zwei Drittel davon entfallen auf chinesische Start-ups. Alleine im Juli 2018 wurde demnach weltweit über eine Milliarde US-Dollar in EdTechs investiert, davon in China 600, in den USA 300 und in Indien 120 Millionen. In den vergangenen 5 Jahren flossen laut HolonIQ weltweit ca. 15 Mrd. US-Dollar in EdTechs, wobei die Investitions-Dynamik in den letzten beiden Jahren stark zugenommen hat. Notieren wir also gedanklich: Allein im Juli 2018 wurde in China ungefähr dieselbe Summe in EdTechs investiert wie in ganz Europa im ganzen Jahr!
Wofür sich Investoren und VCs interessieren
Audrey Waters hat in ihrem Hackeducation Blog eine Übersicht der globalen aus China EdTech-Investments zusammengestellt: Demnach liegen sogenannte Tutoring-Services an der Spitze der VC-Aktivitäten. Die Unternehmen heißen z.B. Zuoyebang, BYJU’s, VIPKID oder 17zuoye und bieten Schülern oder Studenten gezielten Support, um kritische, in China oftmals karriereentscheidende Prüfungen wie den berüchtigten Gaokao möglichst gut zu bestehen. Übrigens spielen in diesen Geschäftsmodellen moderne Technologien wie Künstliche Intelligenz eine weit kleinere Rolle als nebenberuflich beschäftigte Lehrkräfte in Callcentern. Tutoring-Services und Prüfungstrainer sind zwar auch jenseits von China im Kommen, allerdings nicht als dominanter Trend.
Andernorts reüssieren vielmehr Sprachlernangebote, Education Apps und nicht zuletzt Online-Kursanbieter und Video-Lecture-Plattformen wie Coursera, Udemy oder "Udacity". Auch adaptive Mathematik-Trainer wie DreamBox Learning (ähnlich etwa dem deutschen "Bettermarks") und Anbieter von Schulverwaltungs-Software oder anderer Services rund um die Organisation und Finanzierung von Bildungsdienstleistungen konnten in den vergangenen Jahren nennenswert Venture Capital akquirieren.
EdTechs in Deutschland?
Es ist nicht ganz einfach, in Deutschland überhaupt VC-finanzierte EdTechs zu identifizieren. Nach wie vor finden sich kaum Bildungs-Start-ups in den Portfolios unterschiedlicher Gründungsfinanzierer wie Hub:Raum, bmp oder Holtzbrinck Ventures. Bei letzterem werden genau 3 der 157 finanzierten Start-ups dem Bereich Education zugerechnet (immerhin zwei mehr als vor zwei Jahren).
Für Project A – ein 2012 in Berlin gegründeter, in eigenen Worten "unkonventioneller" VC – ist das EdTech-Segment trotz bekundetem Interesse bislang ebenfalls eher nebensächlich: Gerade zwei von 59 finanzierten Unternehmen kommen dort aus dem Bildungsbereich. Auch die EdTech-Gruppe im Bundesverband Deutsche Startups e.V. scheint deshalb in den letzten Jahren nicht nennenswert gewachsen zu sein: Nach wie vor engagieren sich hier um die 30 Education-Start-ups, wobei manche größeren Anbieter wie Sofatutor oder Lecturio inzwischen kaum mehr als solche zu bezeichnen sind.
Halten wir also fest: EdTechs in und aus Deutschland sind – wie bereits vor zwei Jahren – bei den einschlägigen Investoren weiterhin ein absolutes Nischenphänomen.