Demografischer Wandel

Was Führungskräfte über Ältere lernen

Karlsruhe/Münster, Januar 2012 - Unternehmen müssen sich mit dem demografischen Wandel auseinandersetzen. Doch wie lassen sich ältere Arbeitnehmern überzeugen, dass sie gebraucht werden? Auf welche Weise kann eine Führungskraft ihren Mitarbeitern vermitteln, dass Weiterbildung auch nach vielen Dienstjahren wichtig ist? Das Institut für gesundheitliche Prävention (IFGP) hat dazu ein Online-Training entwickelt. Geschäftsführer Marc Lenze erklärt in seinem Vortrag auf der LEARNTEC, warum es nicht reicht, Bänder in der Fertigung ein wenig langsamer laufen zu lassen. Seine Forderung: "Es muss insgesamt stärker perspektivisch gedacht werden."



Marc Lenze: Wir erleben ein Bewusstsein dafür, allerdings weniger ausgeprägt, als es notwendig wäre und es hängt von der Branche ab. Tatsächlich gibt es Unternehmen, die eine starke Betroffenheit empfinden. Sie haben das Gefühl, dass die Fertigung nicht mehr so schnell funktioniert oder dass es dort vermehrt zu Ausfällen kommt.


Wir aber sagen: Der Gesundheitsaspekt beispielsweise ist nur einer von vielen - auch wenn er aus Sicht der Betriebe oftmals im Vordergrund steht. Da der Personalbedarf zukünftig verstärkt durch ältere Mitarbeiter gedeckt werden muss, stellen sich weitere Fragen wie "Bekomme ich in meiner Region auch künftig das Personal, das wir benötigen?" oder "Wie sieht die Bereitschaft zur Weiterbildung bei älteren Arbeitnehmern aus?"

Wie reagieren Betriebe denn auf Ihr Angebot, Führungskräfte gezielt zum Umgang mit älteren Mitarbeitern zu informieren oder auch zu schulen?

Marc Lenze: In der Regel kommen die Unternehmen auf uns zu. Aber dann haben sie bereits einen gewissen Handlungsdruck. Der Impuls, etwas unternehmen zu müssen, kommt übrigens selten "aus der Chefetage". Es ist die Basis, die sich zu Wort meldet, klassischerweise die Produktion.

Und was passiert dann?

Marc Lenze: In der konkreten Zusammenarbeit mit unseren Kunden wird auf Basis einer Altersstrukturanalyse ein ziemlich genaues Bild ermittelt, wo ein Unternehmen in 15 Jahren stehen wird. In der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema werden dann notwendige Handlungsfelder identifiziert und wichtige Entwicklungen angestoßen. Sobald man sich mit dem Demografischen Wandel und dessen innerbetrieblichen Auswirkungen gezielt befasst, finden neue innerbetriebliche Vernetzungen statt. Die Produktion ist beteiligt, die Personalabteilung, Weiterbildung, Change Management, Gesundheitsförderung, Betriebsmedizin, Führungskräfte und insbesondere das Top-Management mit seinen strategischen Vorstellungen.

Womit haben die Unternehmen denn zu kämpfen? Warum suchen sie Rat?

Marc Lenze: Wie gesagt, sie sind durchaus gewillt, sich dem Umgang mit Belastungen - sowohl körperlichen als auch psychischen - zu stellen. Dazu muss ich unterstreichen, dass Ältere sehr viel zu leisten imstande sind. Das heißt, die Einschränkungen sind gar nicht so groß. Aber es gibt auch eine Erwartung bei den Mitarbeitern, die zum einen damit zu tun hat, dass Beschäftigte mit vielen Berufsjahren den vorzeitigen Ruhestand für gerechtfertigt halten und zum anderen - mit dem Wunsch nach Gerechtigkeit - dass Kollegen jahrelang wesentlich früher in Rente gegangen sind und dies daher auch nun auch für sie gelten sollte.

Was bedeutet, dass sie die Schlusskurve anvisieren und sich innerlich schon aus dem Job verabschieden... ?

Marc Lenze: Ja, in die Richtung geht das. An dieser Stelle müssen sich Führungskräfte die Mühe machen darüber nachzudenken, wo Motivationspotenziale liegen. Und wann eigentlich ihre älteren Mitarbeiter Zufriedenheit bei der Arbeit verspüren. Da ist Wertschätzung ein wichtiger Faktor. Oder die ganzheitliche Ausführung von Arbeiten, um die Sinnhaftigkeit seines Tuns begreifen zu können. Wer sich damit befasst und die Dinge entsprechend anders anpackt, fördert die Motivation.


Zudem wird es in Unternehmen schwierig werden, bestimmte Positionen zu besetzen, also überhaupt genügend Personen und zudem ausreichend qualifizierte Personen zu bekommen. Daher sollten Anforderungsprofile in Unternehmen auf den Prüfstand kommen. Da ist sind in der Vergangenheit viele Ansprüche immer weiter hochgetrieben worden, ohne Not, als Reaktion auf ein Überangebot. Aber man braucht nicht für jede Position Abitur oder einen Doktortitel.

Was bekommen Sie denn für Feedback von den Unternehmen, die sich von Ihnen beraten lassen? Von denen, die das von Ihnen konzipierte eLearning absolviert haben?

Marc Lenze: Das Training bietet die Chance, das eigene Bild von Älteren zu verändern. Der Hauptpunkt ist, den Adressaten zu sensibilisieren. Was sich für viele Führungskräfte neu anfühlt: Dass sie selbst einen großen Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit in ihrem Team haben. Dass es gut ist und auch nichts kostet, mit den Älteren besser ins Gespräch zu kommen.

Sie setzen Ihr Training nicht nur als Standardwerkzeug ein, sondern passen es inzwischen auch vermehrt an die Unternehmen an, oder?

Marc Lenze: Ja, wir haben zum Beispiel eine Version für die Produktion erstellt. Maßgeschneiderte Lösungen wirken authentischer. Menschen, die in der Automobilbranche arbeiten, wollen keine Szenarien aus der chemischen Industrie. Das wirkt dann künstlich und wird von den Führungskräften als Weiterbildungstool nicht ernst genommen. Die Bildsprache muss stimmen, die Biografien, das Wording.

Warum haben Sie nun ein neues, zusätzliches Thema im Visier? Es hat den sperrigen Namen "Lebensphasenorientierte Selbsthilfekompetenz".

Marc Lenze: Es klingt kompliziert, lässt sich aber ganz leicht konkret machen. Fakt ist, dass gerade in der Phase ab 45 Jahren privat vieles passiert, was sich auf die Leistungsfähigkeit auswirkt. Fast 30 Prozent der Arbeitnehmer sind in diesem Alter damit konfrontiert, dass in ihrer Familie jemand gepflegt werden muss. Auch Todesfälle oder Scheidung sind belastend. Manchmal kommen sogar zwei Faktoren zusammen. Oder jemand arbeitet, hat einen pflegebedürftigen Angehörigen und selbst noch Kinder.

Und was kann da ein spezielles Führungskräftetraining leisten?

Marc Lenze: Zunächst geht das über schieren Altruismus hinaus. Wer Mitarbeiter halten möchte und sie in ihrer Leistungsfähigkeit stärken, sollte mehr tun als kurz Verständnis zu zeigen. Gut wäre es, wenn ein Vorgesetzter weiß, wo man sich Informationen und Unterstützung zu diesem Thema holen kann. Ich gebe zu, dass es einer ausgesprochen positiven Arbeitskultur bedarf, damit eine Führungskraft als Unterstützer in diesen privaten Fragestellungen wahrgenommen wird. Aber der demografische Wandel wird diese Veränderungen mit sich bringen, einfach weil wir den Folgen nicht entgehen können.


Die Problematik, dass es zu wenig Kinderbetreuung gibt, wird sich ausweiten. Genauso kann es künftig passieren, dass Betriebe nicht nur Kindergärten schaffen, sondern in unmittelbarer Nähe auch Pflegeheime bauen. Das hört sich zwar einerseits visionär an, ist andererseits aber auch logisch.


Bedeutet dies, sie arbeiten an einem neuen Kursus, der den Umgang mit Krisen in der zweiten Lebenshälfte thematisiert?

Marc Lenze: Es steht noch nicht fest, ob wir ihn in die Weiterbildung zum demografischen Wandel integrieren. Es könnte gut sein, dass auch dieses Thema so facettenreich ist, dass er eine separate Lehreinheit darstellt.




Besuchen Sie den Vortrag von Marc Lenze im Rahmen des LEARNTEC Kongresses, Sektion "Specials 2" am 31. Januar 2012 ab 15 Uhr im Raum K6/7 auf der Konferenzebene.