Weiterbildung in der Automobilindustrie
Saarbrücken, Dezember 2018 - Das Traumauto vieler Deutscher weist heute ganz andere Merkmale auf als noch vor einigen Jahren. Kaum mehr als ein leises, fast nicht hörbares Surren lässt es beim Fahren ertönen, nimmt dem Fahrer einen Großteil der Arbeit durch automatisierte Schaltvorgänge ab und verfügt über eine Vielzahl digitaler Schnittstellen zur Außenwelt. So verrät das moderne Fahrzeug seinem Fahrer zum Beispiel auf Anfrage, wie viele Plätze im nächstgelegenen Parkhaus noch frei sind oder wieviel Zeit und Spritkosten sich bei der Abkürzung über die Landstraße sparen lassen. Damit werden die State-of-the-art Fahrzeuge zu Mobilitätspartnern im weitesten Sinne und damit für potenzielle Kunden zu hochattraktiven Produkten.
Ehe jedoch die endgültige Kaufentscheidung fällt, wollen alle relevanten Informationen in punkto Mehrwert und Zusatzfeatures allerdings zunächst kompetent erläutert sein. Auf Seiten der Händler und Vertriebspartner, die Kunden dabei unterstützen, aus der Fülle verfügbarer Mobilitätslösungen die passende auszuwählen, ergeben sich durch die rasant voranschreitende technische Entwicklung enorme Qualifizierungsbedarfe. Dennis Kuschmierz, Business Management Training, Marke Volkswagen und Carsten Schlüter, Key Account Manager Sales beim Weiterbildungsdienstleister IMC, sind mit diesen Bedarfen bestens vertraut. Im Gespräch berichten die beiden Projektpartner wie es Automobilherstellern gelingt, ihre Verkaufspartner über geeignete Qualifizierungsprogramme für künftige Herausforderungen fit zu machen.
Wie schätzen Sie den Einfluss der Digitalisierung und technischer Neuerungen wie Elektromobilität auf den Qualifizierungsbedarf in der Branche ein?
Carsten Schlüter: Die Auswirkungen auf den Bedarf sind enorm, was durch mehrere parallel laufende Entwicklungen bedingt ist. Der wichtigste Punkt ist hier sicher, dass die Kunden für Mobilität jeglicher Art zusehends anspruchsvoller werden. Das Schlagwort Nachhaltigkeit rückt für die junge Käufergeneration mehr und mehr in den Fokus. Der Großteil der Kunden wünscht sich heute ein Fahrzeug, das in Punkto Sicherheit und Ressourcenverbrauch vorbildlich ist. Vor 30 Jahren hat vermutlich kaum ein Autoverkäufer im Gespräch mit dem Interessenten das Wort "Nachhaltigkeit" fallen lassen, heute ist es fast schon ein Muss.
Volkswagen hat sich das Ziel gesetzt, dem Anspruch der Kunden als führender Anbieter nachhaltiger Mobilität gerecht zu werden. Aus dieser strategischen Entwicklung ergibt sich der Bedarf, Händler für Nachhaltigkeitsthemen zu sensibilisieren und in Gesprächen mit Interessenten gezielt auf diese Themen einzugehen. Darüber hinaus werden unsere Fahrzeuge immer digitaler und somit cleverer. Ein guter und richtig qualifizierter Verkäufer muss imstande sein, die Intelligenz eines solchen Fahrzeugs so zu erklären, dass sich der Interessent umfassend informiert, aber nicht durch die Fülle der Informationen überfordert fühlt.
Dennis Kuschmierz: Ganz genau. Seit einiger Zeit beobachten wir auch, dass die Frequenz, mit der neue Updates auf uns zukommen, stetig steigt. Wir müssen also schneller werden, was die Bereitstellung neuer Qualifizierungsprogramme angeht. Darüber hinaus können wir erwarten, dass Rollen- und Aufgabenbeschreibungen im Handel sich zukünftig ändern und häufiger angepasst werden müssen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Themen stärker zu modularisieren und Qualifizierungspfade flexibler zu gestalten. Beim standardmäßigen Etablieren dieser Flexibilität kommt es nicht zuletzt auf den richtigen Mix aus zentral durch Wolfsburg bereitgestellten und lokal durch den Importeur angepassten Inhalten im richtigen Format an. Dabei spielen sowohl Online- und Offline Lerninhalte eine wichtige Rolle.
Carsten Schlüter: Das Thema Flexibilisierung, das Dennis eben erwähnt hat, lohnt es sich, vor dem Hintergrund der zu qualifizierenden Zielgruppe noch einmal aufzugreifen. Denn der Oberbegriff "Händler" umfasst, was Alter und Kenntnisstand der Lernenden angeht, eine extrem heterogene Lernerzielgruppe mit völlig unterschiedlichen Lerngewohnheiten und Präferenzen.
Das klingt spannend! Wie macht sich diese Heterogenität bemerkbar und wie reagieren Qualifizierungsverantwortliche und Weiterbildungsanbieter am besten auf eine solche Lernerstruktur?
Carsten Schlüter: Was die Lerngewohnheiten angeht, gilt es hier, eine gewisse Kluft zwischen den Generationen zu überbrücken. Die ältere Lernerzielgruppe ist es gewohnt, Broschüren und gedruckte Nachschlagewerke als Informationsquelle zu nutzen. Während sich junge Trainingsteilnehmer durch und durch für Lernspiele, Quizzes und über das Smartphone abrufbare Erklärvideos begeistern lassen, stoßen wir hier bei älteren Teilnehmen auf weitaus weniger Akzeptanz und Interesse.
Für einen Automobilverkäufer der alten Schule jenseits der 50 sind Gamification und YouTube-Videos kein so bekanntes Terrain wie für einen Anfang 30-jährigen, der mit dem Internet groß geworden ist. Deshalb ist immer wieder unser Einfallsreichtum gefragt, wenn es darum geht, mit passenden Lerninhalten die Brücke zwischen diesen beiden Zielgruppen zu schlagen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dies besonders gut mithilfe von Storytelling gelingt. Web-based Trainings, in denen der Mitarbeiter einen virtuellen Verkaufsraum durchläuft und dabei verschiedenste Aufgaben lösen muss, wie zum Beispiel einem Interessenten eine Handvoll Fragen zu einem neuen Modell zu beantworten, kommen bei Verkäufern jeden Alters sehr gut an. Die Relevanz der vermittelten Inhalte, sprich der Bezug zur eigenen Tätigkeit, ist hier für alle Teilnehmer gleichermaßen gegeben, weshalb solche Formate bei den Lernenden auf eine entsprechend hohe Akzeptanz stoßen.
Dennis Kuschmierz: Das Prinzip des Storytellings nutzen wir auch für die Vermittlung ganz klassischer Lerninhalte, wie beispielsweise des Verkaufsprozesses, den jeder Automobilverkäufer kennen sollte. Eingebettet in eine Geschichte macht es den Lernern nicht nur mehr Spaß, sich diese Themen zu erschließen, sondern sie werden auch wesentlich besser behalten als trockene Lehrbuchinhalte. Das sehen übrigens auch ältere Lerner so.
Herr Kuschmierz, Sie sprachen vorhin über die hohe Frequenz beim Aufkommen neuer Lernbedarfe. Wie gehen Sie vor, um neue Qualifizierungsbedarfe für Ihre Zielgruppe zu definieren und geeignete Strategien abzuleiten?
Dennis Kuschmierz: Ein großer Teil der Qualifizierungsbedarfe resultiert selbstverständlich aus der Volkswagen Markenstrategie, getrieben durch neue Modelle und Technologien sowie Produkte und Dienstleistungen. Darüber hinaus sind neue, angepasste Vermarktungskonzepte im Handel oder Tools, die im Kundenkontakt zum Einsatz kommen, genauso wie IT-Systeme relevant. Wir erhalten auch Feedback aus den Märkten, zu bestehenden Konzepten oder zu Bedarfen, die dort lokal identifiziert wurden und die einen Handlungsbedarf auf unserer Seite erzeugen.
Zusätzlich gibt es natürlich methodisch und didaktische Themen, die ihren Ursprung in der Academy selbst haben und aus diesem Grund Einzug in die Qualifizierung finden. Die Dimensionen Dringlichkeit, Themenbereich, Zielgruppe und Volumen helfen uns dann bei der Auswahl des richtigen Kanals und Formats, welches wir anschließend – häufig in Abstimmung mit einer Fachabteilung – entwickeln und umsetzen.
Themen wie Gamification, Virtual Reality (VR) und die als Learning Nuggets bekannten Lernhäppchen haben sich im Laufe der letzten Jahre als Langzeittrends etabliert. Was sind aus Ihrer Sicht derzeit die wichtigsten und für Ihre Zielgruppe relevantesten Trends im Bereich der digitalen Qualifizierung?
Dennis Kuschmierz: Entscheidend für uns ist die Tatsache, dass ein wesentlich größerer Online-Anteil in der Qualifizierung von unseren Märkten gefordert wird, also Online-Content, der jederzeit an jedem Ort mit beliebigem Gerät genutzt werden kann. Im Bereich des Verhaltenstrainings stehen im digitalen Bereich momentan Simulationen, Serious Games sowie alle Formate im Fokus, die ein hohes User-Involvement erzeugen. Darunter fallen unter anderem realistische Situationen, in denen man jobrelevante Fähigkeiten entwickeln und immer wieder ausprobieren kann.
Um neue Inhalte möglichst schnell an die Zielgruppe übermitteln zu können, nutzen wir ein für Smartphones geeignetes Format namens "Learning Snacks", mit dem in kürzester Zeit kleine Lerneinheiten kreiert werden können.
Carsten Schlüter: In technischen Trainingsszenarien sind darüber hinaus VR-Konzepte verfügbar, mit denen sich Teilnehmer in Echtzeitmeetings ortsunabhängig und in vorbereiteten Trainingseinheiten Inhalte erarbeiten können. Vorteile dieser Anwendung sind die Darstellung komplexer und sicherheitsrelevanter Inhalte in einer gewohnten Umgebung und nicht zuletzt die Einsparung von Reisekosten. Von solchen immersiven Formaten werden wir in Zukunft noch einiges hören.
Die IMC ist nun bereits seit 2012 Jahren Weiterbildungspartner von Volkswagen. Was erwartet der Automobilkonzern von einem kompetenten Partner im Bereich digitale Qualifizierung?
Dennis Kuschmierz: Uns geht es meistens darum, Bestehendes mit Neuem optimal zu kombinieren. Das fängt mit der nötigen Bereitstellung von digitalen Inhalten über bereits in den Märkten etablierten Learning Management Systemen an, erstreckt sich über die Kombination mit vorhandenen digitalen Inhalten und hört mit der Harmonisierung der inhaltlichen Aufbereitung noch nicht auf. Ein guter Partner sollte deshalb imstande sein sich – gemeinsam mit uns – schnell einen Überblick über vorhandene Strukturen zu verschaffen, adäquat darauf zu reagieren und gleichzeitig nicht seine Innovationskraft verlieren und unseren Adressaten etwas neues, Interessantes bieten. Genauso sind Organisation, Kommunikations- und Teamfähigkeit wichtig, weil unterschiedliche Formate bei uns teils von anderen Agenturen beigesteuert werden und am Ende ein stimmiges Ganzes ergeben sollen.
Und wie würden Sie die Rolle der IMC im Rahmen der Zusammenarbeit beschreiben?
Carsten Schlüter: In der Zusammenarbeit mit Volkswagen ist die IMC gleichzeitig Technologiepartner und didaktischer Berater. Nach 20 Jahren Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Kunden verschiedenster Größen, Branchen und zu unterweisender Zielgruppen wissen wir ganz genau, wie und auf welchen Wegen Menschen gerne und effizient lernen. Dieses über Jahre gesammelte und gefestigte Wissen nutzen wir in der Zusammenarbeit mit Volkswagen.
Bei jedem neuen Projekt machen wir uns vorab ein genaues Bild von der zu schulenden Zielgruppe und den Trainingsinhalten. Anschließend suchen wir nach dem besten Weg, um den Inhalt adressaten- und sachgerecht zu vermitteln. Außerdem helfen wir dabei, eLearnings so gestalten, dass sie sich als sinnvolle Vorbereitung für Präsenztrainings nutzen lassen. Dies hat den klaren Vorteil, dass im Schulungsraum mehr Zeit zum freien Austausch und zum Beantworten individueller Fragen bleibt und sich Präsenztrainings häufig sogar verkürzen lassen. Das macht sich am Ende auch auf der Ausgabenseite bemerkbar, da Volkswagen durch kürzere Präsenzphasen in der Lage ist, Schulungs- und Reisekosten einzusparen.