Virtuelle Lernräume in der Berufsschule
Köln, Februar 2016 - Sophia Tiemann, Geschäftsführerin bei der IHK NRW, beantwortet die Frage, wie die Digitalisierung in den Berufsschulen in den Unterricht integriert werden kann. Denn im Umgang mit neuen Medien als Lernwerkzeug müssen Unternehmen den Spagat meistern, sowohl junge als auch ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitzunehmen.
Frau Tiemann, die IHK ist in Deutschland für die duale Berufsausbildung zuständig. In welchen Bereichen kommen neue Medien im Unterricht zum Einsatz?
Sophia Tiemann: In den vergangenen 15 Jahren ist es nur teilweise gelungen, den Schulunterricht dem digitalen Wandel anzupassen. Wir müssen über ein Unterrichtsfach "Digitalisierung" sprechen oder es besser in bestehende Schulfächer einbinden. Das System muss modernisiert werden, um international nicht den Anschluss zu verpassen. Letztlich werden das Internet und die neuen Medien in den Berufsschulen in vergleichbarem Umfang genutzt wie in allgemeinbildenden Schulen.
Viele Auszubildende in großen Unternehmen erhalten von ihren Ausbildungsbetrieben bereits sogar Tablets für die begleitende Vermittlung von Ausbildungsinhalten oder zur Prüfungsvorbereitung. Das ist natürlich noch nicht die gängige Praxis in NRW. Wir dürfen davon ausgehen, dass zurzeit eher die Schüler neue Medien nutzen, um den Anforderungen im regulären Unterricht zu begegnen als umgekehrt.
Lernen wir in Zukunft nur noch allein vor dem Laptop oder am Tablet und nicht mehr in Klassen oder Seminarräumen?
Sophia Tiemann: Es wird auch in Zukunft in Klassenräumen gelernt, aber die Nutzung der digitalen Medien rückt stärker in den Vordergrund. Der Anteil von Blended-Learning-Angeboten, also eine Mischung aus digitalen und traditionellen Lernformen, wird eine immer größere Bedeutung haben. Tablets und entsprechende Lern-Apps müssen zukünftig zum Standard im Unterricht werden oder ihn zumindest ergänzen. Generell gilt aber, dass sich viele Menschen gerade in der Weiterbildung wünschen, zu einem festen Zeitpunkt physisch mit Dozenten und Kursteilnehmern an einem Ortzusammenzukommen, statt beliebig zu Hause zwischen Hausputz und Abendbrottisch auf dem Smartphone zu lernen.
Welche Ausbildungsberufe eignen sich besonders für den Einsatz neuer Medien?
Sophia Tiemann: Es eignen sich vor allem die Ausbildungsberufe, bei denen sich natürlich auch schon die Ausbildungsinhalte darum drehen. Die Ausbildungsberufe, zum Beispiel als Produktionstechnologe, in der Industrie oder in den IT-Berufen müssen nur geringfügig an die betrieblichen Erfordernisse angepasst werden. In erster Linie geschieht dies durch eine Aktualisierung bereits bestehender Berufsbilder. So wird beispielsweise der Kaufmann im Einzelhandel um eine Wahlqualifikation "E-Commerce anwenden" ergänzt.
Wir benötigen aber nicht zwangsläufig immer neue Berufe. Zum Teil haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich die Jugendlichen schon besser mit Medien auskennen als die Lehrer vor Ort. Die Lehrkräfte müssen daher hinreichend in der Anwendung digitaler Medien qualifiziert werden. Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, die Ausbilder in den Unternehmen mitzunehmen und weiterzubilden. Denn diese geben das Wissen später an die Auszubildenden weiter. Über kurz oder lang wird die Digitalisierung in nahezu jeder Branche auftreten. Daraus folgt, dass alle dort beschäftigten Fachkräfte über digitale Kompetenzen verfügen müssen, um in ihren Berufen handlungsfähig zu bleiben. Sicher ist, dass viele Aufgaben im Unternehmen noch komplexer werden.
Im Moment passen wir die Ausbildungsordnung nach und nach an. Es wäre die Idealvorstellung, alle IHK-Ausbildungsberufe und auch die darauf aufbauenden Fortbildungsabschlüsse, an den Anforderungen einer digitalen Welt auszurichten. Dieser Prozess wird durch Experten begleitet und gemeinsam mit
unserem Dachverband umgesetzt.
Welche Chancen sehen Sie in der Digitalisierung?
Sophia Tiemann: Wir sehen, dass man gerade in dualen Ausbildungsthemen das gesamte System etwas flexibilisieren kann. Wir haben im Moment das Problem, dass wir aufgrund des demographischen Wandels und der zurückgehenden Schülerabgänger-Zahlen in NRW, aber auch bundesweit das Problem haben, dass wir nicht mehr so viele junge Leute für die duale Ausbildung gewinnen. Insbesondere in ländlichen Regionen haben nun die Berufsschulen bereits das Problem, die erforderlichen Klassengrößen für Fachklassen zusammen zu kriegen. Die Digitalisierung bietet hier, zum Beispiel durch virtuelle Lernräume, die Möglichkeit, dass man eine ortsnahe Berufsschulmöglichkeit in der Fläche bieten könnte.
Man kann Lerninhalte in "Clouds" laden oder auf "Blended Learning" setzen. Da sehen wir die Chance, dass man die Vielfalt der Berufsbilder erhalten könnte, auch angesichts der Tatsache, dass vielen Berufsschulen zunehmend Lehrkräfte in vielen Fächern, insbesondere in den technischen Fächern, fehlen. Das wird nach und nach immer mehr ein Thema werden, auch wenn es natürlich nicht gänzlich die Face-to-Face-Kommunikation an den Berufsschulen ersetzen wird.
Über den digitalen Wandel in der beruflichen Bildung spricht Sophia Tiemann auch auf der didacta 2016 in Köln:
Forum berufliche Bildung
Digitalisierung: Wie verändert sie die berufliche Bildung?
19. Februar 2016, 12:15 Uhr – 13:15 Uhr, Halle 9, Stand A 36/B 39
Es diskutieren Sophia Tiemann (IHK NRW), Wilhelm Schröder (Verband für Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs in NRW) und Wilhelm Heuken (Currenta GmbH & Co. OHG)
Veranstalter: Didacta Verband der Bildungswirtschaft / Verband Bildungsmedien e. V.