Von personalisierbaren Lerninhalten und nichtlinearen Lernpfaden
Wien (A), April 2023 – Die NINEFEB Gruppe ist ein europaweit agierender Dienstleister für Technische Dokumentation und eLearning und arbeitet vorwiegend für technische Branchen – vom Maschinen- und Anlagenbau über Bahntechnik bis hin zur Medizintechnik. Im Team aus Dr. Harald Stadlbauer, Martina Schmidt und Barbara Kalous besprechen sie auf dem LEARNTEC Kongress am 24. Mai um 14.30 Uhr in der Reihe KI-Anwendungen "Personalisiertes Lernen, nicht lineare Lernpfade inklusive Assessment-Einbindung von Virtual & Augmented Reality, auch bei Legacy Systemen".
Wie hängen Technische Dokumentation, eLearning und Assessments in Ihrem Arbeitsfeld zusammen und welche Vorteile bietet Personalisierung dabei?
Martina Schmidt: Wir sind ja überwiegend, wenngleich auch nicht ausschließlich im technischen Informationsbereich tätig, d.h. wir entwickeln Information als Technische Dokumentation oder eLearning für Service Personal, um technische Geräte sicher betreiben oder in einen sicheren Betriebszustand führen zu können. Sicherheit ist also das höchste Gebot.
Technische Dokumentation ist hierbei die Mutter der technischen Information, die mittels der Risikoanalyse entwickelt wird. Wichtig ist hierbei, dass eLearnings zur Bildung der Kompetenzen der Service-Techniker (Kompetenz ist die Summe aus Wissen, Skills als auch Attitude oder Awareness) mittels geeigneter didaktischer Unterstützungsmittel aus und nur aus der Dokumentation entwickelt werden. Dies wird von uns bereits in der Granulierung und dem Aufbau der Dokumentation berücksichtigt. Wir haben dazu eine Methode erfunden, das iLEARN und greifen hier den Ansatz der Learning Objects wieder auf.
Learning Objects bestehen aus Text und Medien inklusive integrierter geeigneter Assessment Strategie und notwendigem Verweis auf Vorwissen. Wir verwenden hier eine Mischung aus DITA Learning Object, S1000D Learning Data Module, dem CISCO Reusable Learning Object Gedanken und Medien-Erweiterungen von uns. Das garantiert, dass eLearning und Technische Dokumentation konsistent sind und nicht inhaltlich auseinanderdriften. Und es ermöglicht die Gestaltung von personalisierbaren Lerninhalten und nichtlinearen Lernpfaden.
Aber wie kann ich jetzt bei Sicherheitsthemen sicherstellen, dass die Kompetenzen erworben wurden? Wissen lässt sich durch Tests gut checken, aber Skills oder Attitude?
Dr. Harald Stadlbauer: Wir entwickeln die Lernziele aus einer Kombination von Lern-OKRs (Objectives & Key Results) mit der digitalen Variante der Bloom’s Taxonomy auf Verb-Ebene. Gleichzeitig lassen sich dadurch bereits die Medien und Interaktionsstrategien planen, die notwendig sind, um die Kompetenzen schulen zu können. Die Assessment Strategien ergeben sich damit daraus gleich automatisch und mit unserer Methode werden gleich die xAPI Statements abgeleitet. Über Standard cmi5 Interfaces lässt sich somit ein Legacy LMS befüllen und verwenden.
Klingt klar und einfach, nicht?
Sie arbeiten in vorwiegend technischen Branchen – vom Maschinenbau über die Bahntechnik bis hin zur Medizintechnik. Welcher Zusatznutzen ist durch den Einsatz von Virtual und Augmented Reality hier generierbar?
Barbara Kalous: Bei diesen technischen Branchen geht es immer um gesicherte Kompetenzen, um ein Produkt oder eine Maschine oder eine Anlage gesichert ohne Gefahr bedienen und betreiben zu können. Hierbei wurde immer schon zwischen Wissensvermittlung und Skills-Vermittlung unterschieden. Während die Wissensvermittlung schrittweise digital bereitgestellt wurde, entweder als eLearning oder als Schulungsvideos oder eine Kombination daraus, war die Skills-Vermittlung immer ein Thema einer Präsenzschulung in Schulungszentren und via Hardware-Simulatoren, die teuer zusammengestellt werden mussten.
Gerade durch Corona war dies jetzt nicht mehr möglich. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, andere Technologien wie Virtual Reality oder Augmented Reality auszuprobieren. So entstanden
Leuchtturmprojekte, wie das VR Training von KONE, das erstaunlich gut gewirkt hat und deshalb jetzt generell ausgerollt wird.
In sicherheitskritischen Bereichen war nur noch die Zertifizierung jetzt ein Problem. Wie bekomme ich die Performance-Daten aus VR-, AR-Trainingsumgebungen oder Simulatoren in meine HR Software oder mein LMS?
Hier ist der Zeitpunkt von xAPI und damit in Kombination cmi5 gekommen. Jedes LMS kann zumindest cmi5 bereits, durch xAPI lassen sich Einzelfähigkeiten erfassen, mit cmi5 kann dies im LMS aggregiert werden.
Welche Ihrer "Best Practices" haben Vorbildcharakter?
Martina Schmidt: Oh, da ist die Frage, was braucht es um Vorbildcharakter zu haben, ist das nicht ein zu grosses Wort? Wir bei NINEFEB haben eine Vision, die aus dem Workplace Learning kommt. Am Workplace treffen sich z.B. zum Thema Performance Support die Technische Dokumentation, z.B. die Diagnose mit dem eLearning für kleine Schulungsinhalte und Anleitungen. Alles, was bei der Behebung eines Fehlers anleitend gelernt wird, vergisst der jeweilige Techniker ein Leben lang nicht mehr!
Unsere Vision besteht aus drei konkreten Punkten:
- Gib dem Techniker multimediale Anleitungen zur Lösung eines Problems vor dem er gerade steht.
- Gib dem Techniker die Möglichkeit, sich Wissensinhalte beliebig auszusuchen und zu konsumieren, sofern er/sie die Grundlagen dafür hat (nichtlineare Lernpfade).
- Gib dem Techniker die Möglichkeit sich das Medium auszusuchen, dass er am besten verarbeiten kann (VR, AR, Animation, Simulator, Bild, Text und damit alles erfassen zu können, was er gelernt hat; die Konvergenz der Medien).
Alle diese Fragen sind durch die geeignete Granularität der Inhalte, geeignete Medienauswahl unter Zuhilfenahme der digitalen Bloom’s Taxonomy verknüpft mit xAPI Taxonomien im iLEARN Framework leichter möglich als es auf den ersten Blick erscheint und es lassen sich dabei die Links zu Kompetenzverwaltungssysteme schliessen.
Ein besonderes Thema für uns ist die Erhebung des Impact des Trainings auf die generellen Ziele, die das Training erfüllen soll. In unserer industriellen Technik-Welt ist meistens ein Business-Ziel der Auslöser einer Schulungsmaßnahme, wie zB Service muß schneller gehen, Null-Fehler Politik, etc.
Jetzt ist es wichtig:
- Die Schulungen im Lichte des Zieles zu planen und
- erheben zu können, ob diese Schulungsmaßnahmen auch das Business-Ziel erreicht haben.
Dr. Harald Stadlbauer: Wir haben hier Google’s Zielsystem die OKRs (Objectives und Key Results) als Ausgangspunkt genommen und die Lern-OKRs gestaltet, die das Business Ziel mit den Lernzielen verbinden, wobei die Lernziele auf Basis der digitalen Bloom’s Taxonomy formuliert werden und aber zusätzlich messbare Key Results definiert werden. Diese Key Results werden nach oben zu den Key Results der Business Ziele mathematisch aggregiert. Damit ist eine unmittelbare Kontrolle und der Zusammenhang zum eigentlichen Ziel gegeben. In unseren Lern-OKRs ist damit aber auch der Link zu xAPI Statements gegeben, die damit sich automatisch konfektionieren, damit die Details auch zB per Messung erhoben werden können bezogen auf das jeweilige OKR Ziel.
Eines unser Vorbilder ist hierbei die Total Learning Architecture der ADL (Advanced Distributed Learning Group). Wir sehen, dass wir mit unseren Ansätzen derzeit offene Probleme in der Industrie lösen können, und dies ohne sehr teure Investments unter Beibehaltung und Nutzung der Legacy Systeme.
Wir haben uns stetig weiterentwickelt. DB Schenker ließ sich damals eine Art Logistik-ERP-System programmieren, das international ausgerollt werden sollte. Wir bekamen den Auftrag sowohl kontextsensitive Hilfe und Technische Dokumentation als auch eLearning für zwei unterschiedliche Rollen zu entwickeln als auch ein Wissensmanagement für FAQs zu entwickeln. Hier lag der Schwerpunkt mehr auf Effizienz. Nichtlineare Pfade waren hier eindeutig kein Thema. Interessant war aber wie schnell wir aus einem Gesamt-Content-Pool durch eine Methode von uns, dem Semantic Content Single Sourcing, auch die kontextspezifischen Inhalte erzeugen konnten. Die Video Trainings beschränkten sich hierbei auf Maskeninhalte.
Der Bereich nichtlineare Lernpfade begleitet uns seit ca. drei Jahren durch intensive Zusammenarbeit mit einem Aufzugshersteller und einem Maschinenbauer. Wie in unseren Branchen üblich gibt es dort jeweils vier bis fünf Kompetenzstufen, die aufeinander aufbauen. Diese Kompetenzstufen sind ein Idealmodell, haben aber oft wenig direkten Zusammenhang mit der realen Praxiserfahrung der Servicetechniker.
Jetzt werden Kurse für neue Produkte oder neue Initiativen für alle Kompetenzprofile gleich angeboten und so sitzt der Profi neben dem Rookie im selben Kurs, was für eine Verschwendung von Ressourcen!
Ein weiteres Szenario für die nichtlinearen Pfade sind Möglichkeiten sein Wissen dort zu ergänzen, wo relevante Praxiserfahrungen noch nicht gegeben sind. Angenommen ich starte mit meinen Tätigkeiten und durch Zufall betreue ich immer denselben Typ von Maschine. Irgendwann einmal kenne ich diese Maschine in- und auswendig, habe aber alles andere vergessen (siehe Ebbinghaus Vergessenskurve). Dann würde es keinen Sinn machen, wieder eine Schulung für diese Maschine zu besuchen, selbst wenn diese einen höheren Level umfasst.
Das alles lässt sich über weite Teile durch xAPI aber festhalten und verwalten.
Welchen Stellenwert hat Ihres Erachtens der Einsatz personalisierten Lernens in technischen Betrieben?
Barbara Kalous: Gehen wir in die Firmen rein. Die Firmen und deren After Sales Bereich, so wie wir sie kennen, haben entweder externe Service-Partner oder interne Service-Strukturen. Beide After-Sales Strukturen repräsentieren aber das Unternehmen und seine Produktqualität.
Lernaufwand ist jetzt aber immer verbunden mit Umsatzverlust in dieser Zeit. Jetzt ist die Offenheit der am Umsatz gemessenen lokalen Geschäftsführer der Service Einheiten in Richtung langer Kurse, egal ob Präsenzkurse oder eLearnings eher bescheiden, und so werden Mitarbeiter nicht geschult. Personalisiertes Lernen kann hier in kleinen Dosen oder Häppchen viel einfacher konsumiert aber auch vor der Maschine direkt eingesehen werden.
Wir sind hier ein Anhänger eines Microcredentials oder Badge Systems, so dass ich Bagdes sammeln kann und dann bei Absolvierung aller Kurse den nächsten Kompetenzstatus erhalte.
Klarerweise hat das personalisierte Lernen auch beim Lernen direkte Auswirkungen auf den Lernenden. Wissenslücken können leicht geschlossen werden.
Und wenn er nichts mehr vorgesetzt bekommt, was er sowieso schon weiß, dann hat der lernende Mitarbeiter einen spürbaren Mehrwert. Gerade die Generation Z ist nicht bereit, Zeit mit unnützen Sachen zu verlieren und möchte ihre Loyalität den sinnvollen Aktivitäten widmen.
Erst das personalisierte Lernen macht die Firma zur lernenden Organisation.