Die Lernerfahrungsplattform des Gehirns
Luzern, November 2023 - (Dr. Hendrik Dietrich, Neurowissenschaftler und Lernexperte bei getAbstract) Das Gehirn besitzt eine eingebaute Lernerfahrungsplattform (LXP), die beim lebenslangen Lernen unterstützt. "LXP" bezeichnet normalerweise eine IT-Infrastruktur, die Mitarbeitenden eines Unternehmens kuratierte Lernerfahrungen bietet. Auch das Gehirn kuratiert. Es verarbeitet nur Relevantes und verwirft die meisten Eindrücke sofort wieder. Für Personalverantwortliche ist es deshalb wichtig zu verstehen, wie nachhaltig gelernt wird. So können sie die interne Lernkultur optimieren, damit die Mitarbeitenden vermittelte Inhalte auch anwenden können.
Dinge zu lernen, die nicht bedeutsam und relevant erscheinen, ist mühsam. Das Gehirn investiert ungern Energie in solche Projekte. Damit sich etwas im Langzeitgedächtnis einprägen kann, benötigt es einen guten Grund. Wichtigkeit oder Bedeutsamkeit in den Lerninhalten zu erkennen ist somit für den nachhaltigen Lerneffekt entscheidend.
Das Gehirn zum Lernen bringen
Betrachten wir zunächst Situationen, in denen Sie mühelos bleibende Erinnerungen bilden. Denken Sie an Ihren ersten Schultag, Ihre erste Autofahrt am Steuer, vielleicht Ihre Hochzeit. Sicher erinnern Sie sich lebhaft an diese fernen Ereignisse. Sie haben durch eine starke emotionale Reaktion Eindruck hinterlassen. Etwas, das solche Reaktionen auslöst, hat Bedeutung in Ihrem Leben – und was bedeutsam für Sie ist, bleibt in Ihrer Erinnerung.
Können Sie die Lernerfahrungsplattform des Gehirns auch dazu bringen, Sinn in von Ihnen gewählten Lerninhalten zu sehen? Ja. Wenn Sie beispielsweise Wörter in einer Fremdsprache lernen, variieren Sie Ihr Üben: Benutzen Sie ein Lehrbuch, führen Sie ein Gespräch mit Muttersprachlern oder sehen Sie einen Film mit Originaltonspur an. Wenn die LXP die gleichen Wörter wiederholt begegnen, erkennt sie ein Muster und erachtet sie als bedeutsam und wertvoll genug, um eine bleibende Erinnerung zu schaffen.
Für viele zielgerichtete Lernaktivitäten sind Wiederholungen unerlässlich. Je mehr Sie üben, desto besser werden Sie. Aber: Staffeln Sie die Lernphasen und tun Sie zwischendurch etwas anderes. Viele Menschen versuchen, sich in einer einzigen Lerneinheit eine Menge Faktenwissen anzueignen. Das mag kurzfristig für das Bestehen einer Prüfung funktionieren, aber wahrscheinlich werden Sie sich nicht lange an die Inhalte erinnern. Lernsitzungen zeitlich zu staffeln ist zwar mühsamer, aber so können sie bleibende Erinnerungen bilden. Wichtig ist, dass Sie dem Lernen ihre bewusste Aufmerksamkeit schenken und alles vermeiden, das ihre Konzentration stören kann.
Auf vertrauenswürdige Wissensquellen setzen
Indem Sie sich Faktenwissen aneignen, schaffen Sie Ihr persönliches mentales Modell der Welt. Dieses kann wahr oder unwahr sein. Eine kluge Auswahl von vertrauenswürdigen Lerninhalten ist entscheidend.
Wenn Sie ChatGPT als Lehrer wählen, werden Sie vielleicht von den guten Antworten überrascht sein. Das Problem: Generative KI-Modelle verstehen nicht, wie die Welt funktioniert. Sie wissen nicht, was wahr oder unwahr ist und liefern deshalb auch verzerrte oder falsche Informationen. Wenn Sie diesen vertrauen, verzerren Sie Ihr Modell der Welt. Setzen Sie bei Lerninhalten daher auf Qualität.
Mit dem "Know-Do-Reflect-Loop" Zugang zum Langzeitgedächtnis erreichen
Die Lernerfahrungsplattform erkennt nicht nur bei emotional aufgeladenen Momenten eine Bedeutung – auch wiederkehrende Inhalte erachtet sie als bedeutsam. Diese Tatsache kann man sich zunutze machen, indem Weiterbildungen nach dem "Know-Do-Reflect-Loop" aufbaut sind. Nach der ersten Lernphase der theoretischen Inhalte ("Know") setzen Sie das Gelernte praktisch in die Tat um ("Do"). Dabei ist es wichtig, dass die Inhalte auch tatsächlich anwendbar sind. Im dritten Schritt reflektieren Sie Ihr Handeln ("Reflect") – am besten im Austausch mit anderen. Danach beginnt der Kreislauf erneut. So bleiben Wissensaneignung, Anwendung und Reflexion in ständigem Fluss.