ELearning: Entdecken und Experimentieren
Berlin, August 2010 - (von Prem Lata Gupta) Ein eEducation Masterplan soll seit 2005 die Medienkompetenzen von Berliner Schülerinnen und Schülern stärken. "eXplorarium" heißt eines der Leitprojekte zur Verwirklichung dieses Ziels. Dabei fließen eLearning und Entdeckendes Lernen zusammen. "eXplorarium" ist ein Projekt der Berliner Bildungsorganisation LIFE e.V. Es finanziert sich durch Gelder aus dem europäischen Sozialfonds und der Berliner Bildungsverwaltung und findet an Schulen in sozialen Brennpunkten statt.
Dozentinnen von LIFE schulen und begleiten Lehrkräfte, die mit neuen Lernformen auch Kinder aus bildungsfernen Familien erreichen wollen. Dr. Karin Ernst, Erziehungswissenschaftlerin und Medienexpertin bei LIFE, beschreibt ein Konzept, das schon Sechsjährige zum aktiven Herausfinden und Denken einlädt und außerdem die sprachlichen Fähigkeiten fördert.
Wie funktioniert das: eLearning, Entdecken und Experimentieren, dazu noch mit Kindern in der Grundschule?
Dr. Karin Ernst: Vielleicht zunächst ein Beispiel: Einer unserer Klassiker heißt "Die Stromwerkstatt". Dabei experimentieren die Kinder live. Sie finden heraus, wie man eine Glühlampe zum Leuchten bringt, konstruieren Stromkreise mit Schaltern und schließlich ein eigenes phantasievolles "Leuchtobjekt". Das ist überzeugender und macht mehr Spaß, als einen Stromkreis als Flash-Animation zusammenzuklicken.
Präsentiert wird das Unterrichtsprojekt aber auf unserer Lernplattform. Die Aufgaben sind dort aufgeschrieben und werden vorgelesen, weil in der ersten Klasse ja noch nicht alle Kinder längere Texte lesen können. Das hat den erfreulichen Effekt, dass sie in Nullkommanix lesen lernen, weil sie der Inhalt wirklich interessiert. Mehr noch, weil sie ein Lerntagebuch führen und ihre Ergebnisse online präsentieren, fabrizieren sie nach kurzer Zeit schon eigene Texte. Und das in Klassen, bei denen Migrantenkinder oft einen Anteil von 90 Prozent und mehr ausmachen.
Ein Erfolg, von dem Lehrkräfte sonst nur träumen können...?
Dr. Karin Ernst: Ja, wer als Lehrerin oder Lehrer intensiv bei uns mitarbeitet, ist begeistert, und die Kinder und Jugendlichen sind es sowieso. Allerdings ist das Projekt in erster Linie darauf ausgerichtet, die Lehrkräfte zu schulen. Sie sind die Multiplikatoren und sie sollen diese Art zu lernen auch dann noch fortführen, wenn unsere Dozentinnen ihnen nicht mehr zur Seite stehen. Aber auch die Kinder profitieren direkt.
Wie funktioniert die "eXplorarium"-Arbeit konkret?
Dr. Karin Ernst: Wir entwickeln im Projekt eLearning-Kurse, die von einer unserer Dozentinnen zusammen mit einer Lehrkraft im normalen Unterricht durchgeführt werden. Unsere Dozentin wirkt zunächst als Modell. Dadurch erfahren die Lehrkräfte im Alltag, dass modernes eLearning in ihrer Klasse funktionieren kann. Sie werden dabei nach und nach immer aktiver, antworten in Foren, geben online Feedback zu Aufgaben, bringen eigene Ideen ein.
Außerdem nehmen sie an begleitenden Fortbildungsworkshops teil. Übrigens werden an jeder Schule immer mindestens zwei Lehrkräfte parallel einbezogen, und bald beginnen sie, sich gegenseitig und danach auch andere zu unterstützen - also ein Schneeballeffekt!
Dazu braucht man doch sicher besondere organisatorische Voraussetzungen?
Dr. Karin Ernst: Wir arbeiten nach Möglichkeit in Teilungsgruppen oder in Notebook-Klassen. Besonders wenn die Kindern noch klein sind oder erst noch lernen müssen, mit der Lernplattform umzugehen, sind kleine Gruppen, die über 90 Minuten zusammen bleiben, eine erfolgreiche Organisationsform. Notebook-Klassen funktionieren noch besser.
Und wie setzen Sie die Lernplattform ein?
Dr. Karin Ernst: Wir arbeiten mit Moodle und entwickeln Blended-Learning-Kurse, die den Kindern und Jugendlichen ein hohes Maß an Eigenaktivität und Beteiligung bieten. In Diskussionsforen werden beispielsweise Vermutungen geäußert, denen sie in Experimenten nachgehen, deren Ergebnisse sie wiederum online dokumentieren. In Wikis dokumentieren Gruppen möglicherweise Langzeitbeobachtungen zur Entwicklung des Mehlkäfers, in Datenbanken werden Erfindungen - vielleicht von Solarobjekten - strukturiert präsentiert.
Sie lassen aber auch Geschichten schreiben, oder..?
Dr. Karin Ernst: Ja, hierbei erleben wir einen regelrechten Run: Türkische Jungen und Mädchen schreiben leidenschaftlich gerne Geschichten, da schlummern echte Talente. Manche Geschichten werden illustriert. Die jüngeren Kinder nutzen dafür "paint" als Anwendung oder malen Bilder, die eingescannt werden. Die älteren machen Fotos, auch außerhalb der Schule, und verändern diese noch einmal mit einem Bildbearbeitungsprogramm.
Es wird also nicht nur experimentiert im naturwissenschaftlichen Sinn?
Dr. Karin Ernst: So haben wir angefangen, wir von LIFE hatten vor allem naturwissenschaftliche, mathematische und technische Inhalte im Visier. Aber die Schulen haben sich das ganze Fächerspektrum gewünscht. Deutsch, Fremdsprachen, sogar Ethik: Es existieren inzwischen für sehr viele Fächer spezielle Moodle-Kurse.
Neben der Kompetenz, digitale Medien selbstverständlich zum Lernen zu nutzen, geht es übrigens auch um die Kompetenz, Ergebnisse zu präsentieren. Das ist eine Fähigkeit, die ab dem mittleren Schulabschluss und im Berufsleben erwartet wird, und bei uns können das schon Kinder in der dritten Klasse!
Hat das Auswirkungen auf Schulnoten? Oder ganz hart gefragt: Erzielen Kinder aus sozialen Brennpunkten durch die Mitarbeit in diesem Projekt bessere Schulleistungen?
Dr. Karin Ernst: Auch Kinder aus Kreuzberg und Neukölln sind grundsätzlich leistungsbereit und die meisten Lehrerinnen und Lehrer berichten begeistert von Erfolgen. Sie schätzen aber vor allem, dass bei uns nicht nur für die Klassenarbeit gelernt wird, sondern es um wirkliches Verstehen geht und daraus nachhaltigeres Lernen wird. Leider lässt sich das nicht durch große Vergleichsstudien belegen, dazu sind die Klassen und Lernbedingungen zu unterschiedlich.
Projekte sind zeitlich begrenzt: Was wird aus "eXplorarium", wenn die Fördermittel auslaufen?
Dr. Karin Ernst: Begonnen haben wir Ende 2005. Inzwischen haben bzw. hatten wir unter dem Namen -žeXplorarium-œ schon vier verschiedene Projekte, eins davon hat sich intensiv mit der Qualität und Zertifizierung von eLearning-Kursen auseinandergesetzt, in einem anderen wird gerade eine multimediale Lernwerkstatt aufgebaut.
Außerdem läuft ein Projektantrag für ein transnationales Projekt. Wir hoffen also, dass es mit dem eXplorarium noch nicht so schnell vorbei ist, nehmen aber gerne auch in Zukunft Fördermittel aller Art entgegen. Eine weitere Option ist, dass Schulen ihre Honorarmittel einsetzen, um mit uns zusammenzuarbeiten. Es lohnt sich auf jeden Fall.