Auf der letzten Bank - deutsche Schulen haben Nachholbedarf
Bonn, August 2006 - Deutschland ist laut einer Auswertung der aktuellen PISA 2003-Studie unter allen Industriestaaten das Land, in dem der Computer am seltensten als regelmäßiges Lernwerkzeug eingesetzt wird. Während im OECD-Durchschnitt 39 Prozent der Schüler in der Schule Computerkenntnisse erwerben, sind es in Deutschland nur gut 21 Prozent.
Die Folge der "roten Laterne" im PISA-Vergleich: Mehr als 20 Prozent der deutschen Fünfzehnjährigen haben erhebliche Defizite im Umgang mit neuen Medien - beispielsweise fehlen ihnen technische Kompetenzen oder computerbezogene Lernstrategien, um den Computer angemessen nutzen zu können.
Es besteht außerdem - ähnlich wie in den anderen in PISA erhobenen Kompetenzen - eine starke Koppelung zwischen der sozialen Herkunft der Jugendlichen und ihren Computerkenntnissen. Den Schulen in Deutschland ist es bisher nicht gelungen, Chancengleichheit in Bezug auf den Erwerb computerbezogener Kenntnisse zu gewährleisten. "Damit droht die Gefahr des 'Digital Divide' - des Auseinanderklaffens der Gesellschaft in Menschen mit und ohne ausreichendes Computerwissen", befürchtet Susanne Benning von der Bonner Akademie.
Medienkompetenz stellt heute - neben Lesen, Schreiben und Rechnen - die "vierte Kulturtechnik" dar. Mit dem Übergang in eine Informationsgesellschaft ist klar, dass es in der Bildung nicht mehr darum gehen kann, möglichst viele Daten und Fakten im Kopf zu speichern.
Stattdessen müssen junge Menschen lernen, wo und wie sie sich Wissen aneignen können. "Elektronische Hilfsmittel im Unterricht und insbesondere das eLearning können dazu einen wesentlichen Beitrag leisten", betont die Expertin für Weiterbildung.
Tatsächlich hat die öffentliche Hand in den letzten Jahren einige Anstrengungen in dieser Richtung unternommen. So wurden einer Analyse des Beratungsunternehmens A.T. Kearney zufolge seit dem Jahr 2000 auf kommunaler, Landes- und Bundesebene mehr als 1,1 Mrd. Euro in unterschiedliche eLearning-Einzel- und Pilotprojekte investiert.
Allerdings kritisieren die Consultants, dass es dabei weder ein übergreifendes Konzept noch eine überregionale Koordination zur Steigerung der Effizienz gegeben habe.
Immerhin sind nach den Daten der fünften bundesweiten Erhebung zur "IT-Ausstattung der allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen in Deutschland" mittlerweile 99 Prozent der Bildungseinrichtungen mit stationären oder mobilen Computern für den Unterrichtseinsatz ausgestattet.
Die durchschnittliche Versorgung liegt allerdings nur bei einem Computer für elf Schüler. Damit ist Deutschland im internationalen Vergleich weit abgeschlagen.
Notwendig: neue Medien und ein pädagogisches Konzept
Bei der Verfügbarkeit breitbandiger Internet-Zugänge sieht es Dank dem Engagement der Initiative "Schulen ans Netz" und dem T@School-Programm der Deutschen Telekom deutlich besser aus: Insgesamt können rund zwei Drittel der Schulen in Deutschland mit hoher Geschwindigkeit das Internet nutzen. Netzwerke sind in 72 Prozent aller deutschen Schulen installiert.
Bei den Lernplattformen, die ebenfalls ein wichtiges Element in einem schulischen eLearning-Konzept darstellen, existiert eine bunte Vielfalt. Hohe Anschaffungspreise und fehlende Schnittstellen zu den vorhandenen Lerninhalten hemmen jedoch den flächendeckenden Einsatz.
Neben den klassischen Schulbuchverlagen haben sich auch eine Reihe von Softwarehäusern und Multimediaagenturen auf die Erstellung von multimedialem Content spezialisiert. Zahlreiche Lernanwendungen entstehen auch in den Schulen selbst und können gut in anderen Schulen oder Bildungseinrichtungen genutzt werden.
"Wenn eLearning an den Schulen zum Alltag werden soll, müssen sich vor allem drei Punkte verändern", fordert Weiterbildungsexpertin Benning. Zunächst sei es notwendig, sich von der "Kostenlos-Mentalität" im Bildungswesen abzuwenden: "Wer als Eltern etwas für die Zukunft seiner Kinder tun will, muss darin investieren - etwa durch Anschaffung digitaler Medien."
Um solchen engagierten Eltern unter die Arme zu greifen und gemeinsam etwas gegen den Computer-Analphabetismus zu tun, hat sich die Bildungsoffensive 2006 gegründet. Ihr aktuelles Projekt ist die mobile Lernstation "EduBook II" - ein Business-Notebook mit sinnvoll zusammengestellten Lernprogrammen und anderer Software zu einem erschwinglichen Preis. Initiiert wurde die Bildungsoffensive 2006 von der Bonner Akademie, die eine Reihe von weiteren Unterstützern und Sponsoren gewinnen konnte.
Solche konkreten Angebote allein reichen aber nicht aus, meint Susanne Benning. Auch die Lehrsituation an den Schulen müsse entscheidend verändert werden. Dafür sei es darüber hinaus erforderlich, dass die Lehrkräfte qualifiziert werden: Nur wenn es genügend engagierte Lehrerinnen und Lehrer gebe, die die neuen Medien - eingebettet in ein umfassendes pädagogisches Konzept - im Unterricht nutzen, werde der Computer mehr als eine Spielkonsole sein, meint Benning.
Dabei stützt sie sich auf erste Schul- und Qualifizierungsprojekte. Deren Erfahrungen haben gezeigt, dass ein Computer allein noch keine bessere Bildung schafft. Es ist vielmehr notwendig, die neuen Medien in ein pädagogisches Konzept einzubetten, damit sie nicht kontraproduktiv wirken.
"Effektives Lernen ist von vielen Faktoren abhängig", betont Benning. Nicht ein einzelnes Medium, sondern das didaktische Umfeld und die eingesetzten Methoden seien entscheidend. Nur ein systemisch ganzheitlicher Ansatz könne verhindern, dass Investitionen in Ausstattung und Software ohne nachhaltigen Bildungseffekt verpuffen.