Online-Unterricht: "Lehrer müssen greifbar sein!"
Bochum, Januar 2021 - Die meisten Schüler Deutschlands werden wohl mindestens bis Ende Januar kein Klassenzimmer mehr von innen sehen. Und so stellt sich die Frage, haben die Schulen aus den ersten Schließungen gelernt und können sie den Unterrichtsausfall nun besser kompensieren. "Jein!" – lautet die Antwort von Sarah Lichtenberger, Leiterin der Bochumer web-individualschule, Deutschlands einziger reiner Online-Schule. Sie dürfte ein weiteres Mal bundesweit eine der wenigen Bildungseinrichtungen sein, die den Unterrichtsbetrieb in vollem Umfang gewährleistet.
"Allein in meiner Heimatstadt Bochum existiert ein großes Ungleichgewicht. Es gibt Schulen, deren Lehrer und Schüler mit Konferenzsoftware ausgestattet sind und die täglich lehrplanmäßige Videokonferenzen durchführen. Und dann gibt es das genaue Gegenteil: Schulen mit keiner einzigen Online-Unterrichtsstunde seit März letzten Jahres, wo die Schülerinnen und Schüler mit einem Wust an unkommentierten Lehrmaterialien zurechtkommen müssen. Das betrifft übrigens jede Schulform – egal ob Grundschulen, Hauptschulen oder Gymnasien", berichtet Lichtenberger, die mit ihren Lehrkräften Schülerinnen und Schüler, bei denen die Schulpflicht temporär ruht oder die dauerhaft krankgeschrieben sind, via Internet unterrichtet und sie auf ihre Förder-, Haupt- oder Realschulabschlüsse vorbereitet. Das besondere Konzept erlaubt die Fortführung des Unterrichts auch in Krisenzeiten. Selbst im Falle einer Quarantäne, können die Lehrer im Homeoffice ihre Schüler jederzeit erreichen. Deshalb berät sie inzwischen zahlreiche Kollegen, Lehreinrichtungen und Institutionen zum Thema Distanzunterricht.
Lichtenbergers Ansicht nach ist die Politik hier gefordert, klare Regeln zu schaffen: "Es gibt keine klaren Ansagen, Richtlinien oder Handreichungen für Lehrer. Und auch Mindestanforderungen für Lehrer hätte ich mir gewünscht. Wir brauchen ein Konzept, in dem nachvollziehbare Vorschriften festgelegt sind. Die Bildung unserer Kinder darf nicht weiterhin von der Freiwilligkeit oder dem Engagement einzelner Lehrer und Schulleiter abhängen."
Vorgaben, die klar umreißen, was Lehrkräfte im Rahmen des digitalen Unterrichts machen dürfen, wie viel Zeit sie im persönlichen Kontakt über Videotelefonie mit den Schüler verbringen oder wie sie die Leistungen benoten, würde vielen Lehrkräften die Unsicherheit nehmen. Für Lichtenberger ist vor allem eines essentiell: "Der Lehrer muss greifbar sein." Deshalb sind für sie Plattformen wie zum Beispiel Logineo in Nordrhein-Westfalen, auch wenn sie rechtssichere Kommunikation per eMail und Datenaustausch gewährleisten, keine adäquate Lösung. Zumal auch hier keine einheitliche Linie existiert. "Einige nutzen es, andere nicht. Wichtiger als ein weiteres Tool ist die großflächige Verbreitung geeigneter Endgeräte, damit die Schüler überhaupt erreicht werden können."
Grundschulen empfiehlt sie wiederum ein etwas anderes Konzept: "Die Mädchen und Jungen besitzen altersbedingt noch nicht die nötige Aufmerksamkeitsspanne für den digitalen Unterricht. Hier würde ich eher auf halbe Klassen in der Präsenz setzen und die andere Hälfte mit kreativen Aufgaben zuhause beschäftigen. Ich denke, wichtig ist, dass eine Vertrauensperson, sprich der Lehrer, für den Schüler da ist, egal ob im Präsenzunterricht oder digital."
So oder so – ein Großteil der Last trifft erneut die Eltern, die ein weiteres Mal parallel mit der Betreuungssituation und ihren beruflichen Pflichten klarkommen müssen. Als Mutter zweier Töchter weiß Lichtenberger: "Man wird pragmatisch und versucht, die Erwartungshaltung an die eigenen Kinder zu senken. Wichtig ist, den Kindern Verständnis in dieser Situation zu zeigen."