"Wir brauchen ein funktionierendes Angebot an digitalen Lehr- und Lernwerkzeugen"
Saarbrücken, Januar 2021 - Corona hat sich als Beschleuniger für die Digitalisierung erwiesen. Auch der Bildungssektor müsse mithalten: Es gelte jetzt, Lehrkräften digitale Lehr- und Lernmaterialien für den Unterricht zur Verfügung zu stellen und sie gezielt für deren Einsatz weiterzubilden, fordert Prof. Julia Knopf von der Universität des Saarlandes. Im Vorstand des Bildungs-Verbandes Didacta will sie sich für die flächendeckende Umsetzung digitaler Lehr- und Lernangebote vom Kindergarten bis zur beruflichen Weiterbildung stark machen.
Corona hat die Probleme der Schulen an den Tag gebracht: Die Lehr- und Lernmethoden halten mit der digitalen Entwicklung nicht Schritt. "Es kann nicht sein, dass sich die Digitalisierung überall durchsetzt und ausgerechnet dort, wo wir diejenigen ausbilden, die sich in einer digitalen Welt zurechtfinden müssen, gehen wir wieder zur Tagesordnung über", sagt Julia Knopf. Der Fokus der Didaktikerin und Spezialistin für digitale Lehr- und Lernangebote im Vorstand des Bildungsverbandes Didacta liegt auf der Weiterentwicklung des Bildungssystems. An den Schulen dürfe es jetzt keinen Rückschritt geben, betont sie: "Wir brauchen keinen weiteren runden Tisch mehr. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir uns konkret an die Umsetzung machen."
Und dabei geht es Knopf nicht nur um Videokonferenz und Arbeitsblätter, die online verteilt werden. Vor allem sollen Lehrerinnen und Lehrer nicht gezwungen sein, ihre eigenen Lösungen zusammenzusuchen oder gar selbst zu entwickeln. "Wir brauchen echte digitale Inhalte, digitale Lehr- und Lernangebote, die den Lehrerinnen und Lehrern auch im Präsenzunterricht an den Schulen völlig neue Möglichkeiten eröffnen. Wir wollen ihnen solche konkreten Lösungen anbieten", sagt Knopf. Nicht, um ihnen mehr Arbeit zu machen, betont sie, sondern um sie zu entlasten.
"Gute digitale Bildungsmaterialien nehmen Lehrkräften Arbeit ab und geben ihnen die Möglichkeit, sich intensiver ihren Schülerinnen und Schüler zu widmen. Was wir brauchen, ist ein funktionierendes Angebot an erprobten und sinnvollen digitalen Lehr- und Lernwerkzeugen, die wir den Lehrerinnen und Lehrern zur Verfügung stellen und aus dem sie sich einfach bedienen können. Und wir müssen sie durch Weiterbildung in die Lage versetzen, diese neuen Werkzeuge erfolgreich im Unterricht einzusetzen. Dafür gilt es jetzt, die 800.000 Lehrkräfte in Deutschland schnell und unkompliziert zu schulen", fordert Knopf. Es dürfe nicht wie bisher an der Eigeninitiative oder Technikaffinität einzelner Lehrerinnen und Lehrer hängen, digitale Lehr- und Lernmethoden in den Unterricht einzubinden.
Es gehe weder um einen Schnellschuss, noch um technische Vollausstattung. "Es geht vielmehr um eine sinnvolle, wissenschaftlich fundierte Verbindung guter, didaktisch wertvoller Lehr- und Lernformate mit dem Unterricht. Wir müssen hierfür genau hinhören, was Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht brauchen und solche Werkzeuge entwickeln, die zum Lehreralltag passen", sagt Julia Knopf, die an der Universität des Saarlandes das Forschungsinstitut Bildung Digital (FoBiD) leitet und auch an ihrem Lehrstuhl neue Methoden erforscht und entwickelt, um Wissen geschickt zu vermitteln.
Das Angebot soll, so Knopf, zielgruppenorientiert sein und wissenschaftlich fundiert erarbeitet werden. "Wenn wir es schaffen, bedarfsgerechte Lösungen zu entwickeln, werden Lehrkräfte in Schule, Aus- und Weiterbildung sie auch einsetzen", erläutert die Didaktik-Professorin. "Es gibt nicht die eine digitale Lösung für alle Fälle. Eine zehnte Klasse braucht völlig andere digitale Lernangebote als Fünftklässlerinnen und Sechstklässler, gleiches gilt für jede der vier Grundschulklassen, jede der Altersstufen in Kindergärten und auch bei der Weiterbildung in Unternehmen. Vielmehr ist es wichtig, die Angebote mit didaktischem Konzept für das jeweilige Fach und jedes Lernalter individuell zuzuschneiden", erläutert die Didaktikerin, die Lern-Prototypen zielgruppenorientiert für Kindergarten, Grundschule, weiterführende Schulen, Aus- und Weiterbildung entwickelt.
"Die virtuelle Welt eröffnet völlig neue Möglichkeiten für das Lernen. Wir können die reale Lernumgebung erweitern, Lernprozesse etwa durch Simulationen unterstützen", sagt Julia Knopf. Sie leitet auch das Leuchtturm-Projekt "Clever", das den DigitalPakt Schule flankiert, und vom Bundesforschungsministerium für drei Jahre mit rund sechs Millionen Euro gefördert wird.
Das Clever-Projektteam – Partner sind das Forschungsinstitut Bildung Digital der Saar-Universität, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz DFKI und die Didactic Innovations GmbH in Saarbrücken – entwickelt eine neuartige Software, mit der sich Lerninhalte für Schulen und Unternehmen automatisch erstellen und auf neueste Medienformate und Technologien abstimmen lassen. Im Unternehmen Didactic Innovations, einem Spin-off aus Julia Knopfs Lehrstuhl, entwickelt Knopf mit einem interdisziplinären Team aus Didaktikern und Informatikern neue schulische und berufliche Lehr- und Lernformate, die Didaktik und Technologie verbinden.
Konkrete Beispiele für digitale Lehr-und Lernangebote, die Julia Knopf und ihr Team entwickelt haben:
Neuartige intelligente Lernräume zu verschiedenen Themen eröffnen neue Möglichkeiten für das Lernen: Der Nutzer kann etwa bei "Smart City" (einem "echten" Raum, in den er eintritt) mittels Controller und Projektionen mehr über verschiedenste Inhalte wie beispielsweise Verkehr in der Stadt erfahren, erhält dabei aber nicht nur einfache technische Informationen, sondern das Programm interagiert multimedial und adaptiv mit ihm oder ihr.
Ein anders Beispiel ist der Prototyp eines intelligenten Lernbegleiters, der den Schüler oder die Schülerin egal welchen Alters sozusagen an die Hand nimmt, und ganz individuelles Lernen möglich macht.
"School to go" ist eine kostenfreie, jedem zugängliche Online-Lernplattform für Schülerinnen und Schüler aller Altersklassen, die wie ein Social Media-Kanal funktioniert. Das Angebot umfasst zum Beispiel virtuelle Rundgänge durch die Pyramiden im antiken Ägypten (Bereich "Lernmix", 5./6. Klasse), eine Mathe-Rallye im eigenen Garten (Bereich "MINT", 10. Klasse), Sporteinheiten für daheim mit virtuellen Profis (Klasse 11, Sportunterricht) und Digitale Escape Rooms zur Leseförderung (Klasse 8, Bereich "Deutsch"). Das Angebot berücksichtigt alle Fächer. Auch Eltern, Lehrkräfte und die interessierte Öffentlichkeit können sich Materialien herunterladen. Die Inhalte sind lehrplankonform, qualitätsgeprüft und können auch ergänzend im Unterricht eingesetzt werden.
Ein Märchenwald ist Schauplatz für Lernangebote für Grundschulkinder: Für das Fach Deutsch scannen Schüler mit dem Tablet Bilder auf einer Fototapete und lösen anschließend verschiedene Aufgaben: etwa indem sie Märchenfiguren Charaktereigenschaften zuordnen oder einem Märchenschüler helfen, typische Sätze aus Märchen zu erkennen.
Im Fach Mathematik lernen die Kinder mithilfe von Augmented Reality (computergestützte erweiterte Realität) spielerisch geometrische Formen und Figuren kennen.
Ältere Schüler der Sekundarstufe können sich sportlich und interaktiv in einem Dschungel aufwärmen und im Fach Geschichte auf virtuelle Exkursion gehen – in die Grabkammer der ägyptischen Königin. Oder sie begeben sich zum Sprachenlernen auf Reisen, besuchen Sehenswürdigkeiten und absolvieren verschiedene interaktive Übungen.
Auch zur beruflichen Aus- und Weiterbildung entwickelt Knopf neue Lernformate. Etwa Prototypen, die den technischen Kundendienst durch eingeblendete 3D-Objekte und Informationen bei der Arbeit unterstützen, oder die in der Logistik Mitarbeiter mit der Datenbrille schulen, um Fehlerquoten zu reduzieren und Prozesse zu verbessern.
Virtual Reality- und Augmented Reality-Anwendungen ermöglichen Lernszenarien, die in der Realität unmöglich wären: So können Lernende selbst den Tank einer komplexen Landmaschine reparieren oder auf einer virtuellen "Slackline" das reale Balancieren üben: Ein interaktives Assistenzsystem simuliert den Seiltanz über den flachen Nylongurt.