Neue Rolle von Führungskräften in der Personalentwicklung?
Gütersloh, Februar 2018 - (von Florian Brendebach) "Führungskräfte müssen in erster Linie führen." Glaubt man der Fachliteratur, so ist das ziemlich überholt. Die heutige Führungskraft soll zugleich der Coach ihrer Mitarbeiter, bzw. der erste Personalentwickler sein. Glaubt man jetzt den Vordenkern der Personalszene, so ist das aber auch bereits überholt. Vielmehr gilt es, Personalentwicklung konsequent selbstorganisiert zu verwirklichen. Man könnte zurecht darauf hinweisen, dass die Wurzeln dieses Ansatzes auch schon etliche Sommer gesehen haben. Ein Blick auf die Praxis zeigt schnell, dass das noch keine Garantie für die Umsetzung eines Konzepts ist.
In meiner Masterthesis habe ich mich der Frage nach der Rolle von Führungskräften im Kontext der Personalentwicklung mit einem zweistufigen Quasi-Delphi-Design genähert. Die folgenden Ergebnisse basieren auf qualitativen Interviews mit Personalexperten sowie einer quantitativen Erhebung mit 40 teilnehmenden Personalern und Wissenschaftlern. Es zeigt sich, dass zunehmend der Anspruch an Führungskräfte gestellt wird, die ersten Personalentwickler ihrer Mitarbeiter zu sein, während Konzepte konsequenter Selbstorganisation der Personalentwicklung (noch) zurückgewiesen werden.
Ergebnisse der ersten – qualitativen – Befragung: Klassisches Modell
Das erste übergeordnete Modell ist das klassische Personalentwicklungsmodell: Personalentwicklung erfolgt strategieumsetzend und bedarfsorientiert. Was Bedarf ist, wird im Dreieck zwischen Unternehmensführung, Personalabteilung und Führungskräften erfasst und konkretisiert. Das Mitarbeitergespräch öffnet dabei das Dreieck für die Mitarbeiter: Bedarf wird hier auch zwischen Führungskräften und Mitarbeitern thematisiert. An dieser Stelle zeigen sich dann auch verschiedene Praxislösungen des Modells, das nach dem tatsächlichen Einfluss der Mitarbeiter zur Mitbestimmung differenziert werden kann: Dieser reicht von einer passiven Reaktion auf präsentierte Vorstellungen der Führungskraft bis hin zu partiellen Möglichkeiten, selbst Bedarf anzumelden, zu begründen und schließlich zu verhandeln. Insgesamt fungieren Führungskräfte hier aber als Nadelöhr oder Gatekeeper.
Die klassische und immer noch aktuelle Form der Umsetzung beschlossener PE-Inhalte ist die des Trainings, bzw. des Seminars. Interessanterweise war ausgerechnet von dem Personalvorstand eines mittelgroßen IT-Unternehmens zu hören, Seminare böten größere Flexibilität als eLearning-Maßnahmen. Diese Seminare werden in unterschiedlichem Ausmaß durch andere Lernformen, wie eLearning oder arbeitsintegriertes Lernen ergänzt – sie bleiben aber immer noch der tragende Pfeiler der klassischen PE-Konzeption.
Neue Rollen für Führungskräfte
Der Wechsel von einem klassischen Qualifikationsmodell der PE zu Konzepten beruflicher Handlungskompetenz stellt mehr als ein Spiel mit Worten dar. Bei allen Unterschieden, die verschiedene Kompetenzkonzeptionen nach wie vor kennzeichnen, kann eine umfassende Handlungsbefähigung in offenen Situationen als ein gemeinsamer Nenner der meisten Konzeptionen ausgemacht werden. Damit verbunden ist ein Wandel zentraler Lernformen: Informelles, arbeitsintegriertes, selbstgesteuertes und dezentralisiertes Lernen im Kontext einer entsprechenden Lernkultur rückt in den Fokus – die Personalentwicklung hält Einzug in die Arbeit am Arbeitsplatz.
In der Folge geraten Führungskräfte als erste und aktive Personalentwickler in den Fokus: In Anlehnung an Wunderer (2009) kann man unter struktureller PE eine Gestaltung von Arbeits- und Lernarrangements (Job-Enlargement/Enrichment/Rotation, Projektarbeit, Vertreterschaft), eine Realisierung von Lernkulturen sowie eine entsprechende Setzung von Anreizen, Formen transformationaler Führung oder eine Förderung, bzw. auch Institutionalisierung von Reflexionsgelegenheiten (Qualifikationszirkel, Lernstätten, etc.) verstehen. Interaktive Personalentwicklung betreiben Führungskräfte in den – ihnen – neuen Rollen eines Coachs oder Mentors.
Damit Führungskräfte Mitarbeiter aber entwickeln können, müssen sie selbst erst entwickelt werden. In der Praxis findet man folgerichtig auch entsprechende Kompetenzentwicklungskonzepte für Führungskräfte. Dieses Modell wird von zwei Seiten aus kritisiert: Zum einen wird angemahnt, dass es zu weit ginge ("führen heißt in erster Linie führen"), zum anderen wird kritisiert, dass es zu kurz greift und wirkliche Selbstorganisation verhindere.
Selbstorganisation
Kompetenzen werden in selbstgesteuerten Lernprozessen erworben – so erklären es die Forschungsliteratur wie auch die Praxis. Dabei werden die Begriffe des selbstgesteuerten und des selbstorganisierten Lernens oftmals, aber nicht immer, synonym verwandt. Selbstgesteuert zu lernen bedeutet – in der Folge auf Knowles, bereits 1975, aber immer noch zitierfähig – selbstständig Lernbedarf zu erkennen, Lernressourcen zu identifizieren, Lernstrategien zu entwickeln und Lernprozesse zu vollziehen. Entgegen geläufigen Missverständnissen bedeutet das nicht, dass Lernende keine Hilfe bei diesen Schritten in Anspruch nehmen dürfen. Zudem muss auch die Kompetenz zu selbstgesteuertem Lernen erworben werden.
Im Kontext dieser Untersuchung bedeutet das Konzept der Selbstorganisation eine Verschiebung der Verantwortlichkeit: Mitarbeiter sollen Mitunternehmer werden und selbstständig agieren – und das bedeutet in der Konsequenz, dass sie Lernbedürfnisse selbst bestimmen und über die Form der Realisation entscheiden. Innerhalb dieses Modells gibt es ebenfalls verschiedene Nuancen: So werden Führungskräfte entweder konsequent gänzlich aus der Lerngleichung herausgekürzt, oder aber ihnen kommt allenfalls die Rolle zu, Lernprozesse durch Serviceleistungen zu unterstützen.
Ergebnisse der zweiten – quantitativen – Befragung: Gegenwart
In der Einschätzung der Befragungsteilnehmer dominiert in der Gegenwart das klassische Bedarfsmodell, in dem Führungskräfte als Gate-Keeper für Entwicklungsnotwendigkeiten fungieren (53,49%). Zudem kommt Führungskräften die Aufgabe zu, selbst Wissen an ihre Mitarbeiter weiterzugeben (36,83%). Als Gestalter von Lernarrangements (22,12%) oder als Coach und Mentor (27,36%) werden Führungskräfte deutlich seltener wahrgenommen. Die beiden Szenarien, die eine konsequente Selbstorganisation der PE in den Fokus nehmen (12,44%), bzw. davon ausgehen, dass der Einfluss der Führungskräfte auf die PE gänzlich entfällt (12,14%), finden sich auf den beiden letzten Plätzen.
Zukunft
Für das Jahr 2025 wird eine veränderte Konstellation prognostiziert: PE steht unter einem – noch unbestimmten – Einfluss der Digitalisierung (53,24%) und Führungskräfte fungieren weiterhin als Gate-Keeper (51,05%). Gleichzeitig findet PE zunehmend in dezentralisierter Form (52,15%) statt, und agieren Führungskräfte als Coaches und Mentoren (50,29%). Insgesamt ist eine deutliche Zunahme der geschätzten Verbreitung von aktiven Entwicklungsrollen der Führungskräfte – als Coach (plus 22,93%), als Gestalter lernförderlicher Rahmenbedingungen (plus 22,95%) sowie als Arrangeur von Arbeitsaufgaben (plus 18,79%) – feststellbar.
Die beiden Szenarien der Selbstorganisation – konsequente Selbstorganisation (33,33%) und kompletter Wegfall des Einflusses der Führungskräfte (23,67%) – finden sich erneut auf den beiden letzten Plätzen, legen aber ebenfalls um 20,89% (Selbstorganisation) und 11,52% (Einfluss entfällt gänzlich) zu.