Von Lernbots und künstlichen Idioten
Stuttgart, April 2019 – Neue, digitale Lernformen erhalten durch künstliche Intelligenz (KI) zusätzliches Gestaltungspotenzial. Wie verändern innovative, smarte Tools die Art und Weise, wie Unternehmen zukünftig ihre Mitarbeiter qualifizieren? Für welche Herausforderungen kann KI Lösungen bieten? Was können intelligente Algorithmen leisten, was nicht? Martin Kundt, Technologievorstand der Know How! AG, gibt Antwort auf diese und weitere Fragen.
Was kann künstliche Intelligenz im Bereich Qualifizierung bereits heute leisten? Woran wird gerade gearbeitet?
Martin Kundt: Als Learning-Anbieter profitieren wir sehr von neuen Technologien im Bereich des digitalen Lernens. Künstliche Intelligenz kann hier unterstützend wirken und neue Möglichkeiten eröffnen. Aus unserer Sicht sind zwei Anknüpfungspunkte für KI besonders vielversprechend: erstens anhand des Nutzerverhaltens passende Empfehlungen auszusprechen, und zweitens mithilfe von Lernbots das Gelernte vertiefend zu reflektieren. Anders als etwa ein Chatbot im Kundenservice hat der Bot beim Thema Lernen eine andere Aufgabe. Wenn sich ein Mitarbeiter mit Lerninhalten beschäftigt, reflektiert der Bot mit ihm nach einiger Zeit das Gelernte. Darüber hinaus kann er den Mitarbeiter auf weiterführende Informationen hinweisen. Wir kennen diese Vorgehensweise aus dem klassischen Lern-Coaching.
Die Technik entwickelt sich ständig weiter, doch unser Gehirn hat sich seit mehreren hunderttausend Jahren kaum verändert. Das bedeutet, dass lerntheoretische Erkenntnisse, etwa zu Verankerung, Sinnstiftung oder Reflexion, weiterhin gültig sind. Diese Erkenntnisse ließen sich bisher durch eLearning nur rudimentär abbilden. KI kann hier tiefgreifend unterstützen. Dabei wäre es ideal, wenn sich die KI an den einzelnen Nutzer und seine individuelle Lernsituation anpasst. Das wird allerdings noch einige Jahre dauern. Bis es so weit ist, können wir uns damit behelfen, automatisiert Nutzerfeedback einzuholen. Das ist einfacher und zielgerichteter, als sich nur auf statistisches Datenmaterial zu verlassen.
Welche neuen, KI-basierten Lernmethoden und -tools sind aus Ihrer Sicht vielversprechend?
Martin Kundt: Neben den bereits erwähnten KI-basierten Empfehlungen und Lern-Bots haben digitale, mit intelligenten Algorithmen verknüpfte Lernassistenten ein riesiges Potenzial. Es ist zu erwarten, dass sie die Herangehensweise an das Thema Lernen zukünftig revolutionieren werden. Ein intelligenter Lernassistent stellt sich individuell auf den Lernenden ein und treibt den Lernprozess möglichst effizient voran, beispielsweise durch Frage-/Antwort-Dialoge.
Auch wenn die Anpassung an den einzelnen Lerner noch eine Herausforderung ist, sind wir bereits heute so weit, dass Unternehmen einen Lernassistenten nicht mehr aufwendig selbst entwickeln müssen. Der Markt bietet vorgefertigte Modelle aus der Cloud, die Kunden schnell und einfach in ihre Lern-Landschaft integrieren können. Hiervon profitieren insbesondere kleine Unternehmen.
Welche Anwendungsfelder im Bereich Qualifizierung sind prädestiniert für den Einsatz von KI?
Martin Kundt: KI kann Lernende dabei unterstützen, Wissen zu wiederholen und zu vertiefen, und beispielsweise auch dabei helfen, die richtigen Lerninhalte zu suchen und zu finden. Die meisten kennen es: Man beschäftigt sich mit einem Thema und gelangt plötzlich an einen Punkt, an dem man nicht weiß, welche Richtung man als nächstes einschlagen soll. In diesem Fall ist KI in der Lage, uns zur richtigen Frage zu führen.
Durch das Sammeln und Analysieren großer Datenmengen mittels KI lassen sich wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die wiederum allen nützen. Dies ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer alternden Belegschaft relevant: Unternehmen stehen vor der Herausforderung, das vorhandene Wissen zu bewahren und für nachfolgende Generationen verfügbar zu machen. KI wird sich dabei als äußerst hilfreich erweisen.
Wie werden Technologien auf Basis von KI das Lernen in Unternehmen langfristig verändern?
Martin Kundt: Denkbar sind Szenarien grenzenlosen Lernens: Wenn sich Daten, die in Unternehmen vorhanden sind, über Organisationsgrenzen hinaus teilen lassen, eröffnet dies ganz neue Möglichkeiten. Gruppen von Unternehmen können gegenseitig voneinander lernen, indem sie ihre Daten teilen und aus ihnen betriebsübergreifende Best Practices ableiten. Hierzu ist allerdings der erste Schritt, eine qualitativ hochwertige Datenbasis zu schaffen, das heißt: statistisch sauber zu erheben, was, wie und wo gelernt wird. Eine noch größere Herausforderung stellt jedoch das Mindset dar, das sich grundlegend verändern müsste. Firmenübergreifendes Lernen ist nur möglich, wenn Unternehmen wirklich bereit sind, solche Daten zu teilen.
Werden Mitarbeiter in einigen Jahrzehnten nur noch von Robotern geschult und weitergebildet? Oder gibt es Aspekte beim Vermitteln von Kompetenzen, die auch zukünftig nur Menschen einbringen können? Birgt KI als Lerninstrument auch Gefahren für Mitarbeiter und Unternehmen?
Martin Kundt: Eines ist Fakt: Die digitalisierte Arbeitswelt mit ihren rasanten Veränderungen verlangt es Mitarbeitern zunehmend ab, just-in-time Neues zu erlernen. Das tägliche Arbeiten ist heute so komplex, dass es unmöglich ist, immer alles ad hoc zu können. Hier sind Roboter klar im Vorteil. Aber sobald es um kognitive Transferleistungen und soziale Kompetenzen geht, werden – außer bei vorgefertigten Abläufen – Maschinen Menschen nicht ersetzen können. Wo empathische Interaktionen gefragt sind, braucht es ein empathisches Gegenüber, sprich: einen Menschen.
Daher liegt die größte Gefahr von KI meines Erachtens nicht darin, dass KI den Menschen ersetzen könnte, sondern darin, dass sich Menschen irgendwann blind auf das vermeintlich kluge System verlassen – weil sie daran gewöhnt sein werden, dass die Technik die korrekte Antwort liefert. Doch auch wenn smarte Technik immer besser wird und ihre Glaubwürdigkeit dementsprechend steigt, dürfen Menschen nicht damit aufhören, die Entscheidungen künstlicher Intelligenzen zu reflektieren. KI ist vom Menschen gemacht und wird genau wie der Mensch auch Fehler machen.
Setzen Sie als Qualifizierungsanbieter bereits heute KI in Ihren Produkten ein? Was planen Sie in diesem Bereich?
Martin Kundt: Wir sind aktuell dabei, verschiedene am Markt verfügbare KI-Komponenten in unsere Produkte einzusetzen. Das Thema beschäftigt uns in Form von integrierbaren KI-Services, die große Plattformen wie etwa Microsoft mit den Azure Cognitive Services zur Verfügung stellen. Zum Beispiel arbeiten wir daran, die ersten Lernbots in unsere Lösungen einzubauen. Für die Content-Produktion nutzen wir bereits KI-basierte Übersetzungstools, ebenso wie Text-zu-Sprache-Werkzeuge. Dank solcher Dienste lässt sich etwa eine englischsprachige Lern-Software einschließlich Content innerhalb von Sekunden in eine andere Sprache übertragen.
Ebenfalls planen wir für unsere Online-Trainings das automatisierte Transkribieren von Videos, welches Nutzern erlaubt, Videos per Texteingabe zu durchsuchen. Außerdem entwickeln große Anbieter gerade KI-Tools, um die einzelnen Bilder in Videos erkennbar zu machen. So lassen sich die visuellen Informationen in Video-Content gezielt suchen und finden, ganz ohne Verschlagwortung. Wir beobachten den Markt sehr aufmerksam und greifen neue KI-Dienste in unseren Produkten auf, wo sie einen nützlichen Mehrwert für den Nutzer bieten.
Wie betrachten Sie das Thema persönlich: Sehen Sie die Entwicklung von KI kritisch oder überwiegen für Sie die Vorteile?
Martin Kundt: Es gibt momentan einen riesigen Hype um das Thema. Kürzlich habe ich einen schönen Artikel gelesen, in dem KI als "Künstliche Idiotie" übersetzt wurde. Ich musste herzhaft lachen. Als technologischer Optimist glaube ich allerdings daran, dass KI uns in Zukunft vieles einfacher machen wird. Ich halte die ethische Diskussion rund um KI für angemessen und notwendig. Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass wir es uns gestatten sollten, Dinge auszuprobieren. Alles in allem überwiegen für mich die Vorteile.