Relevanz & Akzeptanz

"Lernformate müssen praxisnah, kompakt und mobil zugänglich sein"

Michael Grotherr, VP Sales Central Europe bei Cornerstone OnDemandDüsseldorf, September 2025 - Ob im Einzelhandel, in Lagern, in der Logistik oder der Produktion – Frontline-Mitarbeitende in Deutschland sind in unterschiedlichsten Bereichen tätig. Häufig haben sie nur begrenzten Zugang zu Schulungsressourcen oder es fehlt aufgrund ihrer Arbeitsorganisation an Zeit, um an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Michael Grotherr, VP Sales Central Europe bei Cornerstone OnDemand, sprach mit CHECK.point eLearning über die Besonderheiten der digitalen Weiterbildung in der Produktion.

Worin unterscheidet sich aus Ihrer Sicht digitales Lernen in der Produktion vor allem von Lernabläufen in anderen Tätigkeitsbereichen wie Verwaltung, Management etc.?

Michael Grotherr: Digitale Lernprozesse in der Produktion haben andere Rahmenbedingungen. Produktionsmitarbeitende haben in der Regel keinen klassischen Arbeitsplatz, an einem Schreibtisch oder ein stationäres Büro,  was den Zugang zu digitalen Lerninhalten erschwert. Zudem ist die Zeit, die für Weiterbildung zur Verfügung steht, häufig deutlich begrenzter als bei Verwaltungs- oder Managementfunktionen. Lernformate müssen daher sehr praxisnah, kompakt und mobil zugänglich sein. 

Welche speziellen Aspekte sollten beim Weiterbildungskonzept für gewerbliche Mitarbeiter berücksichtigt werden?

Michael Grotherr: Ein Weiterbildungskonzept für gewerbliche Mitarbeitende sollte besonders auf die Arbeitsrealität vor Ort abgestimmt sein. Das bedeutet, Lerninhalte müssen einfach zugänglich, in verständlicher Sprache formuliert und unmittelbar anwendbar sein. Auch die technische Infrastruktur, etwa in Form mobiler Endgeräte oder Lernstationen in der Nähe des Arbeitsplatzes, spielt eine wichtige Rolle.
Zusätzlich ist es entscheidend, unterschiedliche Lernniveaus zu berücksichtigen,  insbesondere bei Belegschaften mit heterogenen Sprach- und Bildungshintergründen. Eine enge Verzahnung mit den konkreten Arbeitsprozessen erhöht zudem die Relevanz und Akzeptanz des Lernangebots. Beispielsweise ermöglichen immersive Lernformate basierend auf Virtual Reality das Erlernen und Erproben konkreter Arbeitsschritte für die Produktion in einer risikofreien Umgebung. Durch den Einsatz von KI können interaktive Lernformate geschaffen werden, die dem Grundsatz Learning by Doing folgen und so praxisnahes und effektives Lernen fördern. 

Pflichtunterweisungen stellen bislang den größten Anteil an den Weiterbildungsmaßnahmen für das produzierende Gewerbe. Erleichtert oder erschwert dies moderne digitale Lernkonzepte?

Michael Grotherr: Pflichtunterweisungen bieten einerseits eine gute Grundlage, digitale Lernformate in der Produktion zu etablieren, da sie regelmäßig und flächendeckend durchgeführt werden müssen. Sie können somit ein Einstiegspunkt für breitere digitale Lernstrategien sein. Andererseits besteht die Herausforderung darin, Pflichtunterweisungen nicht lediglich als formale Erfüllung gesetzlicher Anforderungen zu betrachten, sondern als integralen Bestandteil einer kontinuierlichen Lernkultur zu gestalten. Der Mehrwert entsteht dann, wenn Pflichtinhalte sinnvoll mit weiterführendem, arbeitsrelevantem Lernen verknüpft werden.

Welche Rolle spielt die Standardisierung von Wissen – vor allem in der Industrie -, um alle Mitarbeitenden auf ein einheitliches Wissensniveau im Arbeitsalltag zu bringen?

Michael Grotherr: Standardisiertes Wissen ist in der Industrie von zentraler Bedeutung, um Prozesse sicher, effizient und qualitätsgerecht abwickeln zu können. Einheitliche Schulungsinhalte sorgen dafür, dass Mitarbeitende unabhängig von Standort, Sprache oder Erfahrung denselben Wissensstand erreichen. Das ist insbesondere bei sicherheitskritischen Tätigkeiten und komplexen Maschinenbedienungen unerlässlich.
Gleichzeitig sollte Standardisierung nicht mit Uniformität verwechselt werden – Lerninhalte müssen anpassbar bleiben, um unterschiedliche Lernbedarfe und Kontexte abzubilden. Neue Mitarbeitende durchlaufen zunächst eine standardisierte Grundschulung. Aufbauend darauf werden zusätzliche Lerninhalte je nach Rolle, Arbeitsbereich oder Vorerfahrung bereitgestellt, etwa für technische Fachkräfte, Büroangestellte oder operative Teams im direkten Produktionsumfeld.

Mitarbeiterschulungen für "Frontliner" werden häufig in mehreren Sprachen benötigt. Ist das in Zeiten von KI noch eine Herausforderung?

Michael Grotherr: KI, hat die Möglichkeiten zur mehrsprachigen Bereitstellung von Lerninhalten deutlich verbessert. Automatisierte Übersetzungen und Transkriptionen können den Aufwand für die Erstellung mehrsprachiger Inhalte reduzieren. Dennoch bleibt es eine Herausforderung, kulturelle und sprachliche Feinheiten korrekt zu übertragen und sicherzustellen, dass die Inhalte für die Zielgruppe wirklich verständlich sind. Gerade bei sicherheitsrelevanten Themen ist eine fachlich überprüfte Lokalisierung nach wie vor essenziell.

Wie viel Change Management in Bezug auf die Lernkultur ist erforderlich, um digitales Lernen in Produktion und Industrie zum "Normalfall" zu machen?

Michael Grotherr: Der Wandel hin zu einer digital gestützten Lernkultur erfordert gezieltes Change Management – insbesondere in Produktionsumgebungen, wo Lernen bislang oft außerhalb des Tagesgeschäfts stattfand. Es geht darum, digitale Lernangebote nicht nur technisch zu implementieren, sondern sie auch organisatorisch und kulturell zu verankern. Führungskräfte spielen dabei eine zentrale Rolle, indem sie Lernzeiten ermöglichen und eine positive Haltung zum kontinuierlichen Lernen fördern. Erfolgreiches Change Management berücksichtigt zudem mögliche Vorbehalte, adressiert diese transparent und stellt den konkreten Nutzen für die Mitarbeitenden klar heraus.