Impulspapier: "Lernen in immersiven Welten"
Berlin, März 2025 - Ein sogenanntes "Impulspapier", das der bitkom e.V. vorgelegt hat, beleuchtet u.a. das immersive Lernen im Zusammenhang mit Virtual Reality. Dabei ist In den letzten Jahren im Umfeld der Aus- und Weiterbildung immer wieder das Thema Kompetenzentwicklung, Erlebnispädagogik und die Steigerung des Engagements der Lerner diskutiert worden. Darüber haben sich Sünne Eichler, Beratung für Bildungsmanagement, und Torsten Fell, Gründer und Institutsleiter des Institute for Immersive Learning, unterhalten.
Sünne Eichler: Die Möglichkeiten von VR sind ja scheinbar riesig. Aber einmal ehrlich, kann man damit wirklich Kompetenzen vermitteln oder ist das nur Spielerei?
Torsten Fell: Hier sind die Szenarien fast unendlich groß, da ich in einer virtuellen Lernwelt alles abbilden kann und zunehmend auch sehr realistisch. Durch die Immersion tauchen die Lerner ja in die virtuelle Lernsituation ab und nehmen das als ihre aktuell wahrgenommene Realität war. Durch die Möglichkeit, mit der visuellen/auditiven Lernwelt zu interagieren z.B. durch körperliche Bewegung oder mit meinen Händen, kann ich die Lernwelt in Echtzeit verändern und bekomme direktes Feedback.
Also ein Abbilden eines Prozesses von bestimmten Handgriffen oder das Bewegen im Raum stellt keine Probleme dar. Ich kann Objekte anfassen, bewegen, werfen, fallen lassen oder mit anderen virtuellen Objekten kombinieren.
Sünne Eichler: Bei der Entwicklung von Serious Games ist ja ein wichtiger Aspekt, dem Lernen den neben der Möglichkeit des Probehandelns vor allem das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu geben. Mit VR wird das dann ja noch realistischer, oder?!
Torsten Fell: Ja, absolut. Das selber Erleben von Situationen, das Abspeichern der getätigten Handlung und das bekommene Feedback ermöglichen dem Lerner einen ganzheitlichen Abspei cherungsprozess des Gelernten. Es gibt ihm Sicherheit in der Handlung und der Anwendung des Gelernten. Da auch Prozesse ohne Aufwand wiederholt werden können oder Lernwelten ent deckt werden können, steigert dies beim Lerner die Akzeptanz, die Erinnerungsquote und baut so Handlungskompetenz für den Alltag und die Praxis auf. Nicht nur im Kopf sondern auch auf der Gefühlsebene – im Bauch. Wie sehen Sie denn die Auswirkungen auf die Emotionalität beim Lerner?
Sünne Eichler: Professor Onur Güntürkün, der renommierte Neurowissenschaftler, hat im Rahmen eines Vortrags auf der LEARNTEC erklärt, dass das menschliche Gehirn niemals nur Inhalte lernt, sondern immer ganze Situationen. Lernen ist also nicht nur Wissenserwerb sondern ein Erlebnis, bei dem die Lernumgebung als Ganzes berücksichtigt wird. Meine Erlebnisse zeigen ein deutliches Bild, Emotionen und Empathie können durch und mit VR vermittelt und erlebbar werden.
Ich selber tauche in die virtuelle Situation ab, dies geschieht meist sehr schnell. Das Präsenzgefühl stellt sich ein, ich bin aktiver Part in der virtuellen Welt, auch wenn mir klar ist, dass dies mit der mich umgebenen physischen Welt im Moment nichts zu tun hat. Die kann ich alleine oder mit anderen erleben, d.h. ich treffe mich mit anderen Personen, die als Avatar visuali siert sind, in der virtuellen Welt. Ich kann zusammen agieren und Situationen erleben. Dies löst unweigerlich Emotionen aus. Diese können positiv oder auch negativ sein.
Wenn ich durch einfache VR-Experience Menschen mit Phobien behandeln und in Situationen bringen kann, bei denen sie an ihre Grenze geführt werden können, wird klar, wie mächtig das Medium ist.
Torsten Fell: Wir haben aber hier auch eine Verantwortung, da alles in der virtuellen Welt erleb bar ist und jede Situation wie »echt« empfunden werden kann, können solche Erlebnisse auch negative Erfahrungen auslösen. Im Moment werden viele VR-Learning Experience umgesetzt, die Risikosituationen oder Sicherheitsprozesse abbilden, bei denen nicht selten Menschen/ Avatare oder ich selbst als Protagonist in Gefahr bin. Dies führt unweigerlich auch zu negativen Situationen. Diese werden genauso abgespeichert wie die positiven. Hier haben die Verantwortlichen in Unternehmen und bei den Anbietern eine große Verantwortung und es muss sensibel mit den technischen Möglichkeiten umgegangen werden – manchmal ist eben weniger mehr.
Im Umfeld der Empathie finde ich spannend, dass z.B. in Studien nachgewiesen werden konnte, dass ich anderen virtuellen Avataren in Krisensituationen helfen will oder entsprechend Mitge fühl in erlebten Situationen entwickele. Dies geht natürlich auch einher mit der Wahrnehmung meines eigenen Körpers in der virtuellen Welt – tut man mir hier etwas an, "spüre" ich dies an meinem echten Körper bzw. habe hier Angst durch die visuelle Wahrnehmung und verfalle in Schutzmechanismen.
Sünne Eichler: VR ist ja nicht nur ein Thema für eine vermeintlich jüngere Zielgruppe. VR wird ja bereits in der Therapie von Demenz-Patienten eingesetzt, was ihnen ermöglicht, in "ihre alte Welt" zurückzukehren und dadurch angeregt zu werden. Auch das Thema Inklusion spielt beim Umsetzen von VR Learning Experience immer mehr eine Rolle. Situationen, Umgebungen und Rahmenbedingungen können an jedem Ort und zu jeder Zeit generiert und an spezifische Gegebenheiten des Lernszenarios, aber auch die Möglichkeiten des Lernenden angepasst werden.
Man kann z.B. dem mobilitätseingeschränkten Lernenden Situationen erlebbar machen, die im realen Leben bisher kaum vorstellbar waren. Ich kann durch neue Eindrücke zum Beispiel durch Rollen- oder Perspektivwechsel neue Wahrnehmungen und Sichtweisen ermöglichen. Situationen durch die Augen meines Gegenübers oder anderen wahrnehmen und selbst erfahren.
Torsten Fell: Dies steigert unwillkürlich die Diversität von Lernprozessen. Ich kann andere viel leicht besser verstehen, dadurch wertschätzen oder deren Verhaltensweisen verstehen lernen. Auch kann ich andere Orte oder Zeiten erleben, mich in diese hineinversetzen und erleben, was Menschen dort erfahren oder wie sich Orte verändert haben. Wir können heute durch die VR Technologien viele neue Lernsituationen schaffen und ermöglichen. Wenn wir die Grenzen verstehen und sinnvoll einsetzen, können wir Kompetenzen und Handlungssicherheit beim Lerner aufbauen, ihn emotional stärken und ihn Freude beim Lernen erleben lassen.