Web 2.0 an der Kaiserin-Augusta-Schule in Köln
Köln, August 2010 - (von Prem Lata Gupta) Schüler der Kaiserin-Augusta-Schule (KAS) in Köln sollen sich online nicht nur informieren, sondern auch Wissen publizieren und teilen. Dies geschieht seit einem Dreivierteljahr in Wikis und Blogs. Selbst wenn dies ein Stück weit "heimliche Hausaufgabe" ist, so Schulleiter Peter Löwen, entwickeln die Jugendlichen dabei großen Eifer. Angestoßen wurden die Web2.0-Aktivitäten durch die Steuergruppe Selbständige Schule ("Lernen und lehren für die Zukunft").
Deren Credo: "Wir glauben, dass Schüler jetzt und auch im späteren Berufsleben nur als mündige Internet-User bestehen." Die engagierten Lehrkräfte sehen positive Effekte, denn eine erste Evaluation ergab Zuwächse bei Motivation und Lernzuwachs. Vor allem aber gehen die Gymnasiasten kritischer als vorher mit eigenen und fremden Inhalten um.
Was war der Anlass, sich gemeinsam mit den Schüler ins Web2.0-Zeitalter zu stürzen?
KAS: Wir sind sehr früh auf digitale Medien eingestiegen, äußerer Anlass war eine Neuausstattung mit moderneren Rechnern in Informatik- und Fachräumen, auch in einzelnen Klassenzimmern, dazu eine noch schnellere Internetverbindung.
Trotzdem ist die Idee, mit Schülern Blogs und Wikis zu betreiben, relativ neu. Hatten Sie ein Vorbild oder Hilfe?
KAS: Nein, wir kennen kein vergleichbares Projekt. Aber eben das war auch die besondere Herausforderung. Um das ganze methodisch anzugehen, sollten als erstes Lehrkräfte geschult werden. Die Suche nach einem geeigneten Referenten, der sich mit diesen Tools auskennt und darüber hinaus die für uns didaktischen Aspekte berücksichtigt, war ziemlich schwierig.
Jugendliche von heute werden als Generation Internet bezeichnet. Wie sah es mit den Vorkenntnissen der Schüler aus?
KAS: Wir haben uns explizit erkundigt: In der Regel beschränkten sich ihre Aktivitäten auf das Schreiben von Mails, manche sind in sozialen Netzwerken angemeldet. Sie mögen Youtube, allerdings nur als Zuschauer. Wie man selbst etwas einstellt, wussten sie nicht. Was die Jugendlichen bei Wikipedia lesen, halten sie zunächst einmal für richtig. Diese Einstellung ändert sich nur langsam.
Hatten die Schüler überhaupt Lust, selbst aktiv zu werden, selbst zu gestalten?
KAS: Doch, da war sofort Zustimmung. Und um gerecht zu sein: Eine halbe Stunde Einführung in Mathematik- und Physikkursen der Oberstufe hat gereicht, um ihr Interesse zu wecken. Den Rest haben sie sich selbst erarbeitet, ganz klassisch nach dem Prinzip learning by doing. Den Lernzuwachs hätte man auch anders sicherstellen können, durch Gruppenarbeit etwa. Aber durch den Einsatz von neuen, modernen Technologien wurde die Aufgabenstellung doch interessanter.
Inzwischen werden an Ihrer Schule 16 Wikis und Blogs betrieben. Geschieht dies nur in der Oberstufe - und für welche Fächer macht dies eigentlich Sinn?
KAS: Blogs erstellen bereits 8. Klassen. Wiki-Aktivitäten starten ebenfalls schon in der Sekundarstufe 1. Allerdings liegt der Schwerpunkt für Wikis in der Oberstufe. Ideal ist es zum Beispiel, wenn hier für ein Fach ausreichend Material für die Abitur-Vorbereitung zusammengefasst ist. Von den Fächern haben wir bei Blogs und Wikis eine sehr breite Mischung: Mathematik und Physik, Franzöisch und Englisch, aber auch Kunst und Musik.
Die Schüler stellen Aufgaben ein oder Zusammenfassungen aus dem Unterricht. Sie drehen Videos von Experimenten und laden sie hoch. Große Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen lassen sich übrigens nicht ausmachen.
Worin besteht der Unterschied, wenn überhaupt?
KAS: Die männlichen Schüler gehen scheinbar lässiger auch mit den technischen Hintergründen um. Die weiblichen sind sehr begeisterungsfähig, auch wenn es um Aufgaben geht, die ganz neu sind, zum Beispiel einen kleinen Film zu drehen und ihn anschließend einzustellen.
Sämtliche Inhalte stehen nicht etwa im Intranet der Schule, sondern sind öffentlich sichtbar. Zufall oder Absicht?
KAS: Es ist Absicht. Denn es bedeutet einen höheren Ansporn, sich um Qualität zu bemühen. Wenn Arbeitsergebnisse nicht nur im stillen Kämmerlein produziert werden, sondern von außen einzusehen sind, dann stärkt dies die Motivation sein Bestes zu geben.
Da findet auch ein Paradigmenwechsel statt: Lernen ist keine Privatsache, sondern eine Angelegenheit, die Verantwortungsgefühl erfordert. Gegenüber sich selbst, aber auch gegenüber der Klasse. Da ist eine veränderte Ernsthaftigkeit im Spiel, einfach weil nachvollziehbar ist, welche Person da etwas zu einem Thema geschrieben hat.
Das erfordert doch ein Umdenken, bedeutet es außerdem mehr Druck?
KAS: Auch wenn es Spaß macht, an Blogs und Wikis zu arbeiten, das Lernen steht im Mittelpunkt. Moderne Tools werden Tafel und Kreide nicht ersetzen. Aber unsere Schüler leben in einer veränderten Wirklichkeit, darauf wollen wir uns aktiv einstellen. Dass man sich vernetzt und dass man Wissen teilt, im Internet auch ein Stück weit öffentlich ist, gehört zu dieser veränderten Realität. Damit sollen sie umgehen können.
Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass das Arbeiten mit Blogs und Wikis oft zuhause stattfindet. Die Schüler müssen trotzdem das Gefühl haben: "Der Aufwand hat sich gelohnt."
Sie haben die Schüler befragt, was ist ihr erster Eindruck von dieser Evaluation?
KAS: Unsere Web2.0-Aktivitäten scheinen erfreuliche Auswirkungen zu haben. Bei unserer Befragung gaben 77 Prozent der Schüler an, sie hätten den Unterricht mit Hilfe von Web 2.0-Diensten als gleich oder sogar motivierender empfunden. 83 Prozent meinten, der Lernerfolg sei höher oder zumindest gleich gewesen.
Das hört sich prima an. Sehen Sie auch eine gesteigerte Kritikfähigkeit gegenüber Inhalten aus dem Internet?
KAS: Auch da verändert sich etwas. Möglicherweise deshalb, weil die Schüler sensibilisiert sind durch ihre eigenen Aktivitäten im Netz. Vor kurzem ging es in einer 10. Klasse um Atomkraft. Da waren die Schüler auf die These gestoßen, dass durch Atomkraft die Evolution beschleunigt wird. Diese Behauptung war scheinbar logisch unterfüttert und sehr elegant dargelegt. Solch eine Argumentation hätten sie früher gleich für bare Münze genommen, aber jetzt waren sie nach kurzem Nachdenken gebührend skeptisch. Wir sehen das als Erfolg.
Wie sieht es bei den anderen Lehrern aus? Ist das Thema Web2.0 nur für einige wichtig oder für die Mehrzahl interessant?
KAS: Es soll nicht bei Einzelaktivitäten bleiben. Darum haben wir einen Best-Practise-Day veranstaltet, um Blogs und Wikis als Unterrichtsform auch dem gesamten Kollegium zu präsentieren. Das Echo war ermutigend. Wir haben Lob und Anfragen bekommen. Eine Kollegin wollte gleich im Anschluss einen Französisch-Blog aktivieren.