Evaluation

Usability von eLearning-Anwendungen

Karlsruhe/Ulm, Januar 2012 - Einen Workshop zum Thema "Usability von eLearning-Anwendungen" steht am 1. Februar 2012 auf dem Kongress-Programm der LEARNTEC.
Dr. Andreas Lehr, der sich seit Jahren mit diesem Thema beschäftigt, strukturiert diese Nachmittagsveranstaltung gemeinsam mit Prof. Dr. Ulrich Bröckl. Die benutzerzentrierte Gestaltung von eLearning-Anwendungen soll dabei im Zentrum stehen. Dr. Andreas Lehr erläutert hier vorab Ausgangslage und Zielsetzung.



Welche Rolle spielen ISO-Normen für die Usability von eLearning-Anwendungen?

Dr. Anders T. Lehr: Neben dem Arbeitsschutzgesetz, der Bildschirmarbeitsplatzverordnung oder dem Behindertengleichstellungsgesetz, gibt es einige ISO-Normen, die besonders wichtig für die Usability von eLearning-Anwendungen sind. So definiert die Norm DIN EN ISO 9241 - Teil 11 den Begriff der Usability, als das Ausmaß, in dem ein Produkt durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen.
Normen beruhen auf einem Konsens an Lösungen, die zu einem meist technischen Problem zusammengetragen wurden. Sie bündeln das Wissen und die Vorschläge von ExpertenInnen, die zu dem Schwerpunkt der Norm tätig sind. Normen orientieren sich häufig auch an gesetzlichen Vorschriften.


Speziell für die Gestaltung von eLearning-Anwendungen gibt es Normen, die sich mit der Mensch-Maschine-Interaktion befassen und sich für eine Usability-Evaluation heranziehen lassen. Zu diesen gehören die Normen DIN EN ISO 9241 (Teil 11, 110, 12), DIN EN ISO 10075, DIN EN ISO 13407, DIN EN ISO 14915.


Was lässt sich mit welcher Methode - Eye-Tracking, formal analytischesVerfahren etc. - über eine eLearning-Anwendung aussagen?

Dr. Anders T. Lehr: Methoden zur Usability-Evaluation lassen sich nach Machate, Burmester (2003) unterteilen in summative und formative Verfahren, ebenso in expertenorientierte analytische und benutzerorientierte empirische Verfahren. Summative Evaluationsverfahren zielen auf eine Gesamteinschätzung über die Usability einer eLearning-Anwendung ab. Die Erhebung von quantitativen Daten steht hierbei im Mittelpunkt. Demgegenüber helfen formative Evaluationsverfahren nach Verbesserungsmöglichkeiten im Detail zu suchen. Hier sind qualitative Daten in Form von verbalen Aussagen, Beobachtungen oder Beschreibungen zu erheben. Analytische Evaluationsverfahren beziehen in der Regel Usability-ExpertenInnen in die Prüfung von Nutzungsproblemen mit ein.


Die ExpertenInnen orientieren sich dabei z.B. an den Usability-Kriterien aus der Norm DIN EN ISO 9241-110, oder verwenden Heuristiken ("Severity Ratings" nach Nielsen (1993), "8 goldenen Regeln des Interface-Designs" nach Schneiderman, Plaisant (2005), "7 Principles of Design" nach Norman (1983)). Bei einer benutzerorientierten empirischen Evaluation wird der Fokus auf die Erfahrung der BenutzerInnen gelegt, die eine eLearning-Anwendung nutzen bzw., nutzen sollen.


Für einen Usability-Test stehen, je nach Erkenntnissinteresse, verschiedene Methoden zur Verfügung. Sie reichen von Feldtests mit teilnehmender Beobachtung, Fragebogen, Eye-Tracking, Screencording, Heuristiken, Reaktionstests der Hand-Augen-Koordination auf Basis von Fitts- Law, Paper & Pen Prototypen, bis hin zu biologische Untersuchungen, die mit Hilfe von Speicheltests den Stresslevel bestimmen können. Für die Bewertung von eLearning-Anwendungen lassen sich alle diese Methoden nutzen, alleine oder in Kombination.


Welche Methode halten Sie für die pragmatisch aussagekräftigste?

Dr. Anders T. Lehr: Meiner Erfahrung nach sind die Methoden, die ich in den folgenden vier Fällen kurz beschreiben möchte, sehr gut für die Usability-Evaluation geeignet.


Wenn die eLearning-Anwendung noch in der Planung ist, dann macht ein Prototyping Sinn, bei dem Usability-Experten hinzugezogen werden. Ein solcher Prototyp kann auf Papier umgesetzt werden und das Design und die Dialoge der noch zu erstellenden eLearning-Anwendung abbilden.


Wenn die eLearning-Anwendung noch in der Entwicklung ist, sind fortlaufende Walkthrough-Tests sinnvoll. Wie beim Agile Software Entwicklungsprozess sitzen hier Entwickler und Benutzer an den fertiggestellten Modulen und prüfen gemeinsam, ob die Usability schon gegeben ist.


Wenn die eLearning-Anwendung bereits umgesetzt wurde, dann sind LernerInnen-zentrierte Ansätze sehr viel aufschlussreicher. Dabei muss darauf geachtet werden, dass die Lernenden nicht beim Lernen gestört werden. Das gelingt besonders gut mit Eye-Tracking-Systemen und Screencording-Werkzeugen die "unsichtbar" im Hintergrund laufen.


Wenn eine bestehende eLearning-Anwendung neu gestaltet werden soll, dann sind Usability-Fragebogen sehr geeignet, da sie unterschiedliche Usability-Aspekte bewerten helfen. Mit den daraus gewonnen Ergebnissen können dann AB-Vergleiche auf einer physiologischen und psychologischen Ebene umgesetzt werden.


Welche Usability-Faktoren wirken sich besonders lernförderlich bzw. lernhinderlich aus?

Dr. Anders T. Lehr: Der Begriff der Lernförderlichkeit, auf den ich mich in meinen Usability-Untersuchungen stütze, ist der Norm DIN EN ISO 9241-110 entnommen. In ihr sind die "Ergonomische(n) Anforderung für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten" beschrieben, die sich besonders für die Gestaltung von Bedienoberflächen und Dialogen eignen. Die Lernförderlichkeit bezieht sich auf die Eigenschaft und die Gestaltung eines Dialogs, die den Benutzer beim Erlernen der Nutzung des interaktiven Systems unterstützt und anleitet.


Um die Lernförderlichkeit zu prüfen, ist die Norm DIN EN ISO 9241-12 heranzuziehen, in der es um die Gestaltung visueller Informationen geht. Dort werden die Faktoren Klarheit, Unterscheidbarkeit, Kompaktheit, Konsistenz, Erkennbarkeit, Lesbarkeit und Verständlichkeit als Prüfkriterien spezifiziert. Diese Eigenschaften lassen sich auf der Ebene der Physiologie des Menschen (z. B. der visuellen Verarbeitung), der Psychologie (z. B. kognitive Verarbeitung, Arbeitsgedächtnis), der Ergonomie (z.B. durch den Nutzungskontext, wie er in der Norm DIN ISO 9241-11 definiert ist) untersuchen.


Werden hierbei Usability-Probleme festgestellt, sind diese zunächst einmal "lernhinderlich" für die Erlernbarkeit der Dialoge und Bedienoberflächen, was allerdings nicht für die Lerninhalte der eLearning-Anwendung gelten muss. Allerdings können die aufgeführten Faktoren die eLearning-Anwendung in ihrer Effektivität und Effizienz mindern und die Zufriedenstellung der Lerner, im Sinne der Lernmotivation, stark beeinflussen.


Warum entwickelt sich die Verbesserung der Usability von eLearning-Angeboten so schleppend?

Dr. Anders T. Lehr: ELearning-Angebote werden heute nicht mehr ausschließlich auf dem PC genutzt. Die Fülle der Endgeräte machen eLearning heute noch ortsungebundener, allerdings mit dem Nachteil, dass die Lernorte aus arbeitsergonomischer Sicht schlechter werden können. Je nach Nutzungskontext bewirken Lärm, schlechte Lichtverhältnisse, zu kleine und spiegelnde Displays eine Minderung der Usability von eLearning-Angeboten. Leider gibt es bisher wenige Usability-Methoden, die auf solche Lern- oder Nutzungskontexte ausgerichtet sind.


Einige Usability-Methoden bringen einen abschreckend wirkenden Kosten- und Zeitaufwand mit sich. Gerade bei Eye-Tracking-Systemen sind die Kosten manchmal für kleinere eLearning-Entwicklungsbudgets nicht tragbar. Gute Usability-Tests brauchen viel Zeit für die Erstellung eines Versuchsdesigns, die Einladung von Probanden, die Durchführung und die Auswertung, wodurch es zu schwer kalkulierbaren Verzögerungen der eLearning-Entwicklung kommen kann.


Aus meiner Sicht lässt sich keine Usability-Methode "von der Stange" auf eine eLearning-Anwendung anwenden. Egal, ob nun eine Lernplattform, ein WBT, ein Blended-Learning oder ein Serious Game evaluiert werden soll, es braucht ein gewisses Maß an Erfahrung, um aus den unterschiedlichen Usability-Methoden eine effiziente Auswahl treffen zu können.

Grundsätzlich können auch auf Usability-Tests spezialisierte Firmen fehlende Erfahrung kompensieren. Es macht aber ebenso Sinn, ein firmeninternes Usability-Know-How aufzubauen, da dieses unmittelbar in die Optimierung von Entwicklungsprozessen einfließen kann.


Ich denke, dass die Usability-Evaluation von eLearning-Anwendungen noch mehr an Bedeutung gewinnen wird. In letzter Zeit greifen einige Fachjournale, die verschiedenen eLearning-Forschungsgruppen und spezielle Usability-Fachtagungen mit Best-Practice-Beispielen dieses Thema auf. Aus Sicht der Lernenden ist die daraus entstehende Aufmerksamkeit sehr wünschenswert, da sie dafür sorgen wird das eLearning-Anwendungen in ihrer Nutzung noch effektiver, effizienter und zufriedenstellender werden.