Social Media

"Wir lösen Probleme künftig anders"

Köln/Rostock, Dezember 2010 - (von Prem Lata Gupta) Social-Media boomt. Hans und Franz, die englische Queen und die Deutsche Bahn nutzen Facebook, Twitter, Xing und Co. Doch die Vielzahl der Systeme, die permanente Kommunikation, noch dazu mobil und in Echtzeit frisst Zeit und Energie. Clemens H. Cap, Professor für Informatik an der Universität Rostock, vertraut auf vereinfachte Lösungen. Jetzt, aber vor allem in der Zukunft. Und erklärt, warum Social Media und die damit verbundenen Anwendungen unser Leben auch leichter machen.




Social Media boomt: Was bedeutet das für den modernen Menschen? Muss er ständig kommunizieren, aufpassen und reagieren?

Prof. Clemens H. Cap: Eigentlich kommunizieren wir die ganze Zeit und wir haben dies auch in der Vergangenheit getan. Wir sehen Schilder, nehmen Flugblätter entgegen, lesen und verfassen Briefe, führen Telefonate. Aber erst seit recht kurzer Zeit, seit 10 oder 15 Jahren, haben wir es mit einer Proliferation von weiteren Kommunikations-Metaphern zu tun, mit denen wir nicht aufgewachsen sind. Das erzeugt den Eindruck, wir hätten es mit einer Sturzflut oder gar einem Chaos zu tun.

Weil wir nicht damit aufgewachsen sind, wird es uns zuviel?

Prof. Clemens H. Cap: Analysen weisen darauf hin, dass das Fokussieren der Aufmerksamkeit schwierig geworden ist. Was uns da entgegenschlägt oder an uns herangetragen wird, entspricht nicht unserer Hardware-Prägung. Ursprünglich ist der Mensch gemacht für eine Welt mit einer geringeren Anzahl von Reizen als heute üblich.

Es existieren ja eine ganze Reihe von Social-Media-Angeboten, dazu höchst unterschiedliche Kommunikationskanäle: Ist da der Versuch von Facebook, künftig alle akzeptieren Services in einer All-in-one-Lösung zu bündeln, der richtige Weg?

Prof. Clemens H. Cap: Dafür hat ein Anbieter bestimmt auch wirtschaftlich-strategische Gründe. Aber ich denke, dass wir rein aufgrund der beschränkten Aufmerksamkeits-Kapazität des Rezipienten zu einer Vereinfachung kommen müssen.

So wie die Open-source-Lösung RockMelt? Ein Browser, in den etwa Facebook und Twitter bereits integriert sind. Oder durch intelligente Software, wie sie der US-Blogger Brian Solis propagiert, mit der wir mühelos von Netzwerk zu Netzwerk wechseln: Als soziale Identität, die sich im Netz je nach Thema und Interesse in verschiedensten "Kolonien" wiederfindet?

Prof. Clemens H. Cap: Ich denke da ähnlich. Es ist wichtig, dass die Systeme interoperabel sind. Allerdings muss man auch unterscheiden zwischen Digital Immigrants und Digital Natives. Unter letzteren verstehe ich die jungen Leute, die einfach online sind, die nicht mehr unterscheiden oder sich bewusst machen, ob sie chatten, eine SMS schreiben oder twittern. Die sehen das einfach so, dass sie jemanden kontaktieren.


Es werden unkomplizierte Lösungen entstehen und es werden sich Muster bilden. Genau wie beim Buchdruck: Als der erfunden wurde, existierten dafür ebenfalls noch keine Muster. Heute hat jedes Buch einen Klappentext, ein Inhaltsverzeichnis, ein Vorwort.

Selbst Befürworter von Social-Media-Aktivitäten stellen fest, dass diese Tools echte Zeitfresser sind. Ein Horror für Arbeitgeber, oder?

Prof. Clemens H. Cap: Wir brauchen Konventionen, was die Nutzung solcher Netzwerke am Arbeitsplatz angeht. Kein Unternehmen wird darüber diskutieren, dass wir zum Arbeiten ein Telefon benötigen. Es gibt zwei Fraktionen. Die eine hat die Wahrnehmung: Huch, meine Leute sind dauernd auf Facebook. Und dann gibt es eine ganz andere Haltung: Wunderbar, die können über Facebook mit unseren Kunden in Kontakt treten - also auf einer neuen, zusätzlichen Schiene.

Das bedeutet ja auch unerwartete Chancen. Wenn wir Social Media sinnvoll nutzen wollen, im Sinne von Zeit gewinnen, profitieren wir dann nicht auch von Anwendungen wie Location Based Services?

Prof. Clemens H. Cap: Durchaus. Denn einerseits wollen wir permanent den Nutzen maximieren. Andererseits kennen wir nur einen kleinen Ausschnitt der Welt. Wenn ich aber in einer fremden Stadt unterwegs bin und ein Kino besuchen will, einen Trip an die Adria buchen, aber nicht ins Reisebüro gehen - dann lösen wir das Problem künftig anders. Wir bekommen die gewünschten Informationen online, auch unterwegs. Und dazu noch vorgefiltert von Menschen, denen wir vertrauen. Das ist etwas ganz anderes und für uns auch vertrauenswürdiger als der Rat von einem anonymen Experten.

Sehen Sie einen Bezug zwischen Social Media und dem Lernen der Zukunft? Falls ja, wie bewerten Sie ihn?

Prof. Clemens H. Cap: Was mir gut gefällt an Social Media, ist die Tatsache, dass hier Kreativität geweckt wird. Wer selbst schreibt, Beiträge gestaltet, der ist ganz anders bei der Sache. Der Lerneffekt verbessert sich. Aber es gibt auch Aspekte, die mich nachdenklich machen. Vieles in den sozialen Medien lebt vom Hype und von der Anerkennung durch die anderen.


Es gibt allerdings Lernzuwachs etwa durch simples Vokabellernen, das ist weder aufregend noch lässt sich diese Erfahrung mit anderen teilen. Außerdem sehe ich einen starken Entertainment-Charakter. Komplexe technische Fragen lassen sich so nicht bearbeiten. Wie komme ich zu einem humanistischen Menschenbild? - Weder durch bunte Bilder noch durch eine verkürzte Kommunikation.